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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Attacke gegen ihren Vater, die allerdings verständlich war. Der frühe Tod des geliebten Vaters war für Christian eingrauenvoller Schicksalsschlag gewesen, der außerdem beinahe das Ende der Geigenstunden bedeutet hatte. Seiner Mutter schwebte eine Juristen-Karriere für ihren Sohn vor. Nur das dauerhafte Engagement seines Musiklehrers und Christians eiserner Wille hatten die Fortsetzung des Geigenunterrichts nach dem Tod des Vaters ermöglicht. Aber immer wieder hatte er hart darum kämpfen müssen.
    Nach der Beisetzung hatte er Elli noch einmal getroffen und ihr die Briefe gebracht, die er aus dem Schreibtisch seines Vaters genommen hatte, bevor seine Mutter sie vernichten konnte.
    Er war reif für sein Alter, dachte Caroline. Er verfügte über das große Talent, den durchsetzungsstarken Willen und die Leidenschaft zur Musik, um sich berufen zu fühlen. Und das mit zwölf Jahren. Aber eigentlich war das nicht überraschend. Elli hatte in ihrem Tagebuch ausführlich die seit Generationen ausgeprägte künstlerische Begabung der Brandenbourgs beschrieben.
    Sie blickte weiter in die Nacht, ihr Gesicht spiegelte sich schwach in der Scheibe. Mit zwölf hatte sie Bücher über Afrika verschlungen. Auch in ihr hatte eine Leidenschaft gebrannt, eine Begeisterung, wie man sie vielleicht nur in diesem Alter empfinden konnte. Vater hatte ihren Vorschlag, die Familie könnte den Sommerurlaub in einem Wildreservat in Kenia verbringen, rundheraus abgelehnt.
Zu den Wilden fahren wir nicht.
Ach, Vater! Caroline seufzte und trank einen Schluck Kaffee. Immer hatte er seinen Willen durchgesetzt.
    Und plötzlich, wie aus dem Nichts, zusammenhangslos, war die Erinnerung da. Die Erinnerung, die schon seit Tagen an die Oberfläche gewollt hatte, immer wenn sie das Vivaldikonzert gehört hatte. Die Erinnerung andieses fürchterliche Wochenende, das beinahe ein Leben gekostet hatte.
    * * *
    Dühnfort kam kurz nach acht ins Büro, öffnete das Fenster, blickte kurz auf die Föhnwolken, die als zarte Schlieren über den Himmel zogen, und wandte sich dann seinem Schreibtisch zu. Das Überwachungsband der Bahn war da. Er ging damit zu Gina und Alois. Gina war bereits unterwegs, um
Superclean
-Käufer zu befragen. Alois folgte ihm ins Besprechungszimmer und setzte sich, während Dühnfort das Band ins Abspielgerät legte und die Starttaste drückte. Nach kurzem Flimmern erschien der S-Bahnsteig im Bild. In der unteren linken Ecke waren Datum und Uhrzeit eingeblendet. 13 . Oktober, 16.00 Uhr. Dühnfort spulte bis 17.40 Uhr vor und ließ dann das Band im langsamen Vorlauf vorbeiziehen. Sieben Minuten vor fünf kam ein Mann ins Bild, der ein Fahrrad über den, mit Pendlern gefüllten, Bahnsteig schob.
    »Yepp.« Alois deutete auf den Bildschirm. »Da ist er.«
    Dühnfort stoppte das Band. Bertram war deutlich zu erkennen, ebenso das Mountainbike. »Ist das nun seines oder das des Vaters?« Dühnfort griff nach den beiden Garantieheften der Räder und verglich die Abbildungen auf der Titelseite mit dem Rad auf dem Monitor. »Das ist seines.«
    »Langsam wird es spannend.« Alois stand auf und spulte das Band weiter. »Wann hat sein Handy sich wieder am Hauptbahnhof angemeldet?«
    »Um fünf nach neun.«
    Alois stoppte die Aufzeichnung, als die S-Bahn ausWolfratshausen kurz nach einundzwanzig Uhr einfuhr. Die Türen öffneten sich; dicht vor der Rolltreppe verließ ein Mann mit Fahrrad die S-Bahn. »Da ist er wieder.« Alois fror das Bild ein, als das Rad erkennbar war. »Das ist nun das Rad seines Vaters.«
    Dühnfort lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Hände im Nacken. Was hatte das zu bedeuten?
    »Bertram hat also in Münsing die Räder vertauscht, und zwar kurz bevor oder zur selben Zeit, als Albert kam und die Leiche seines Vaters fand.« Alois setzte sich. »Hat Albert Bertram überrascht, als der die Leiche beseitigen wollte?«
    »Mit dem Rad?« Etwas lag Dühnfort quer im Magen.
    »Oder Spuren verwischen?«
    »Wir müssen wissen, ob sie wirklich zeitgleich dort waren.«
    »Fragen wir Albert«, meinte Alois.
    Aber Dühnfort rief Meo an. »Hast du die Ortungsdaten von Alberts Handy schon?«
    »Ich habe sie vor drei Minuten bekommen. Du musst dich noch etwas gedulden. Ich melde mich, sobald ich sie ausgewertet habe.«
    * * *
    Babs saß am Küchentisch und versuchte eine andere Babs, eine, die sie nicht kannte, in Schach zu halten. Seit gestern wollte diese die Wohnung nach einem Beweis für Alberts Untreue durchsuchen.

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