In weißer Stille
und beichtest ihm die Sache mit dem Schlüssel und der Uhr«, hatte er gesagt. Nun saß er in sich gekehrt hinter dem Steuer, die Hände fest am Lenkrad. Als er ihren Blick bemerkte, erwiderte er ihn. Sein Mund lächelte, die Augen nicht. »Als Vater sein erstes Cabrio gekauft hat, sind wir diese Strecke gefahren. Das war Ende der sechziger Jahre, ich durfte mit zur Jungfernfahrt.« Er blickte wieder auf die Straße. »Ein Mercedes 280 SL Pagode. Knallrot, Zweisitzer, Lederausstattung. Wir sind in die Berge gefahren und haben irgendwo einen großen Eisbecher gegessen mit Sahne und so einem Papierschirmchen. Bertram musste zu Hause bleiben. Und ich habe mich gefühlt wie der King.«
Genauso war Wolfram gewesen. Ungerecht. »Das war nicht fair von ihm.«
»Na und? Das Leben ist nicht fair.« Albert schenkte seine ganze Aufmerksamkeit dem Verkehr. »Und Vaterwar es auch nicht. Bertram hatte absolut recht. Unser Vater war der große Manipulator. Schon als wir Kinder waren, hat er dafür gesorgt, dass wir um ihn buhlten. Er hat uns gegeneinander ausgespielt und sich köstlich amüsiert. Er hat uns benutzt, um sein Ego aufzupolieren.«
Alberts Hände spannten sich stärker um das Steuer. Die Knöchel traten weiß hervor. Was war los mit ihm? So kannte sie ihn nicht. Sarkastisch, verbittert. Mit einem Mal tat er ihr leid. »Warum hast du das so lange mitgemacht? Ich meine, als Kind, sicher, da durchschaut man das nicht. Aber später …«
Die Sehnen an seinem Hals traten hervor. Er sagte nichts, blickte stur auf die Straße. Erst nach einer Weile ließ diese Anspannung nach. »Ich habe ihn nicht durchschaut. Erst jetzt ist mir das klar geworden. Er hat in mir irgendetwas gesehen, etwas Besonderes, eine Art Trophäe.«
»Eine Trophäe?« Wieder einmal klang sie wie sein Echo. Was meinte er?
»Ich war für ihn eine Art Beute, oder besser ein Beweis. Mutter hat ihn im Jahr vor meiner Geburt betrogen und wollte ihn verlassen. Aber ein Heckeroth lässt sich keine Hörner aufsetzen, den betrügt man nicht. So einer nimmt sich, was ihm ohnehin gehört.«
Was Albert damit andeutete, erschreckte Babs. Hatte Wolfram Elli vergewaltigt und dabei Albert gezeugt? Das wäre grauenhaft. Allerdings wäre es noch viel grausamer, Albert das wissen zu lassen. »Hat Wolfram dir das erzählt oder …«
Wieder sah er kurz zu ihr hinüber. In seinen Augen lagen gleichzeitig Trauer, Verbitterung und Wut. Ein Anblick, der Babs Angst machte und sie daran hinderte weiterzusprechen.
Kurz darauf kündigte ein Hinweisschild die Raststätte Höhenrain an. Babs musste auf die Toilette und bat Albert, dort zu halten. Er nickte.
Woher wusste er mit einem Mal, dass Elli damals eine Affäre gehabt hatte und dass Wolfram sich mit Gewalt … Wolfram hätte niemals zugegeben, dass Elli ihn betrogen hatte, und auch mit der Vergewaltigung seiner Frau würde er sich doch nicht vor Albert brüsten. Oder doch?
Babs sah aus dem Fenster. Ihre Gedanken gingen zurück, zur Uhr, zum Schlüssel, zu Bertram, diesem Mistkerl. Unvermutet drängte sich ein Gedanke in ihre Vorstellung, wie eine Tür, die sich langsam öffnen wollte. Sie warf sich mit aller Kraft dagegen, aber es war zu spät. Den Blick in den Abgrund, der jenseits dieser Tür lag, hatte sie bereits getan: Was, wenn nun gar nicht Bertram … sondern Albert? Ihr wurde kalt.
Albert setzte den Blinker, fuhr zur Raststätte und hielt direkt vor den Toiletten. »Beeil dich. Wir sind spät dran.«
Benommen stieg sie aus und betrat das flache Nebengebäude der Tankstelle. Sie fühlte sich, als hätte ihr jemand mit dem Hammer vor den Kopf geschlagen. Wie konnte sie nur ihren eigenen Mann verdächtigen? Doch er benahm sich seltsam, und an dem Abend, als Wolfram überfallen worden war, war er erst spät gekommen und gereizt und aggressiv gewesen. Es konnte nicht sein … warum auch? Sie atmete durch, verscheuchte diese unsäglichen Gedanken. Albert hatte sich mit seinem Vater nicht nur blendend verstanden, er hatte ihn auch geliebt.
Sie ging auf die Toilette. Kurz darauf hörte sie, wie jemand den Raum betrat und eine Kabinentür verriegelte.Nachdem Babs sich erleichtert hatte, wusch sie sich die Hände und ließ warmes Wasser über die Handgelenke laufen. Ihre Nerven waren überreizt, kein Wunder nach all dem, was geschehen war. Sie musterte sich im Spiegel. Fahle Haut, hektische rote Flecken, ein gehetzter Blick. Sie versuchte ruhig durchzuatmen. Natürlich hatte Bertram den Schlüssel und die Uhr
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