In weißer Stille
Vater kaltblütig ermordet hatte, und nickte.
Seine Schultern sanken erleichtert herab. »Unser Hochzeitstag, du erinnerst dich?« Während er sprach, fuhr sein Daumen über die Inschrift. Seine Augen waren auf seine Hände gerichtet. »Er hätte den Siphon problemlos alleine reparieren können. Das hat er mir auch gesagt, als ich fertig war und wir zu Abend gegessen haben. Willst du wissen, warum er angerufen hat? Er wollte sehen, ob ich wirklich so ein Waschlappen bin, ob er wirklich so viel Macht über mich hat, dass er uns den Hochzeitstag versauen kann.«
* * *
Als Vater wegen des Siphons angerufen hatte, hatte er sofort diese leichte Verärgerung gespürt. Wie so oft. Und wie immer hatte er sie beiseitegeschoben. Er war wütend auf Babs geworden, weil sie ihn einfach nicht verstand, und wieder hatte er den eigentlichen Adressaten seines Unmuts nicht erkannt. Als ob es da eine Mauer gäbe, an der all sein Ärger abprallte und umgeleitet wurde – zu Babs, deren Versuche, ihn auf ihre Seite zu ziehen, mit der Regelmäßigkeit eines zuverlässig funktionierenden Räderwerkes zu Zwistigkeiten führten. Wieso nur war er so blind gewesen und hatte diesen Mechanismus nie durchschaut? Vielleicht weil er ein Teil davon gewesen war und deshalb nie das Ganze hatte überblicken können? Weil ihm die Sicht von außen gefehlt hatte. Hätte er diese Distanz gehabt, er hätte das nicht so lange mitgemacht. Nur ein Mal, zu Beginn der Pubertät, hatte er rebelliert. Zu seiner großen Überraschung war seine Mutter damals mit ihm in die Schlacht gezogen, hatte jedoch auf halber Strecke schon wieder aufgegeben. An jenem Freitagmittag hatte er den Kampf verloren und doch geglaubt, er hätte ihn gewonnen. Er hatte seinen Vater auf einen Sockel gestellt, zum Heiligen gemacht und nichterkannt, dass er der Teufel war. Bertram war der Einzige, der ihn durchschaut hatte, den großen Manipulator.
Noch immer starrte er auf die Gravur und ließ die Uhr dann auf den Tisch sinken. Warum hatte er sie zusammen mit dem Schlüssel aufgehoben? Er wusste es nicht.
Blass und angespannt saß Babs auf dem Stuhl, wie zum Sprung bereit, als hätte sie Angst vor ihm. Musste sie sich vor ihm fürchten? Albert war sich nicht sicher. Er wusste allerdings, was nicht geschehen durfte. Es gab nur eine Chance. Sie durfte ihn nicht im Stich lassen. Aber wie konnte er ihr das Unerklärliche verständlich machen? »Ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist. Aber ein paar Tage nach Mutters Beerdigung hat das angefangen. Vater benahm sich seltsam. Er war unruhig, ist ständig durch die Wohnung getigert, war gereizt und aggressiv. Ich habe das nicht der Trauer zugeschrieben. Er hat Mutter nicht geliebt. Er hat sie besessen wie ein exotisches Haustier …«
»Wie ein Tier …«
Albert hasste es, wenn sie ihn nachäffte. Wie ein Springteufel an der Feder schoss seine Wut empor. »Unterbrich mich nicht!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Feine Spucketropfen landeten auf der Holzplatte. Babs zuckte zusammen. Er durfte sie nicht verstören, atmete durch, versuchte, ruhig weiterzusprechen. »Vater hatte ein Problem. Deshalb ist er ins Wochenendhaus gefahren. Er wollte in Ruhe nachdenken, um zu einer Lösung zu kommen. Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht, was er tun sollte.«
»Ich kann dir nicht folgen, Albert. Welches Problem hatte Wolfram, und was hat das mit Elli zu tun?«
»Vaters Problem war immer sein Narzissmus. Er war eitel und eingebildet. Ein selbstgefälliges Arschloch.« Estat gut, das laut auszusprechen. Er fühlte sich erleichtert, spürte, wie er Sicherheit gewann. »Es hat ihn fast umgebracht, als er entdeckt hat, dass ich nicht sein Sohn bin.«
* * *
Es war beinahe halb elf, und Marc schlief noch. Er wollte erst am Nachmittag ins Büro gehen, und Caroline hatte sich entschlossen, gemeinsam mit ihm zu frühstücken. Sie hatte bereits Tanja Wiezorek informiert, dass sie erst gegen zwölf käme, aber auf dem Handy jederzeit erreichbar sei.
Nun saß sie mit dem Laptop am gedeckten Frühstückstisch und versuchte an der Vorstandspräsentation zu arbeiten. Aber ihre Gedanken wanderten ständig zurück zu dieser Erinnerung, die sie am frühen Morgen heimgesucht hatte. Wie alt war sie damals gewesen? Acht oder neun? Jedenfalls noch sehr klein. Kein Wunder, dass sie das beinahe vergessen hatte. Doch mit der Erinnerung waren auch die Gefühle von damals zurückgekehrt. Angst und Hilflosigkeit.
Die Küchentür wurde geöffnet.
Weitere Kostenlose Bücher