In weißer Stille
mal abgesehen.
Marc saß in einem Sessel und las die
Financial Times.
Er trug Cordhose und Norwegerpulli. Seine Haare waren vom Duschen im Nacken noch etwas feucht. Als sie eintrat, blickte er auf. Vor ihm auf dem Couchtisch standen ein Stövchen mit Tee und ein Tablett mit Sandwichs, Gebäck und Mineralwasser. »Geht es besser?«, fragte er und faltete die Zeitung zusammen.
Caroline setzte sich neben ihn. »Viel besser, und außerdem habe ich einen Bärenhunger. Du bist ein Schatz, ich habe dich gar nicht verdient.« Sie ließ den Kopf an seine Schulter sinken und griff gleichzeitig nach einem Schinkensandwich.
»Warum denkst du das?«
»Was?«
»Neulich hast du deiner Sekretärin Berechnung unterstellt, als sie Mitgefühl gezeigt hat, und nun denkst du,
du bist meiner nicht würdig.
Warum hältst du dich für so wenig liebenswert?«
Caroline wollte widersprechen, erkannte aber im selben Augenblick die Wahrheit in Marcs Worten, die sich wie ein tonnenschweres Gewicht auf ihre Brust legte. Sie starrte auf das Sandwich und legte es zurück.
Vielleicht, um nicht verletzbar zu sein. So wie Bertram sein Haus
als Schutzschild hatte, habe ich einen Eispalast um mich errichtet. Ich war nicht immer so. Ich weiß noch genau, wann das angefangen hat.
»Ich war sechs oder sieben Jahre alt«, begann sie ganz unvermittelt. »Vaters Geburtstag stand bevor. Er hatte sich den neuen Mercedes bestellt, musste aber bis zur Auslieferung noch warten. Ich wollte ihm eine Freude …« Caroline löste sich von Marc und sah ihm in die Augen. »Nein, wenn ich ehrlich bin, wollte ich endlich einmal Albert ausstechen. Deshalb habe ich stundenlang in meinem Zimmer gesessen, einen Bauplan entworfen und das Auto mit meinen Buntstiften gemalt. Die erste Version ging in die Hose. Ich hatte mich vermessen, aber ich habe nicht aufgegeben, bis es fertig war.«
Sie erinnerte sich, wie stolz sie gewesen war, als sie das letzte Teil, einen Seitenspiegel, mit Uhu angeklebt hatte, wie ihr vor Aufregung das Herz geklopft und wie sie sich Vaters Freude ausgemalt hatte.
»Du hast das Auto für ihn als Modell selbst entworfen und gebastelt?«
»Was heißt schon entworfen? Ich glaube, es war eine ziemliche Krakelei und außerdem windschief.«
»Das war süß. Ich hätte mich darüber wahnsinnig gefreut. Aber Wolfram anscheinend nicht. Oder?«
»Albert hat am selben Tag sein Übertrittszeugnis fürs Gymnasium erhalten. Lauter Einser. Das war für Vater das schönste Geschenk.« Sie brachte es nicht über sich, ihm zu sagen, dass sie ihre Bastelei zwei Tage später im Müll gefunden hatte.
Marc zog sie an sich. »Ach, Schatz! Wie konnte er nur so herzlos sein?«
»Er war ein Egoist. Ich verstehe nicht, wie Mutter es mit ihm über vierzig Jahre ausgehalten hat. Kurz nachdem meine Eltern geheiratet hatten, hat sie ihre große Liebe gefunden. Aber sie hat Vater nicht verlassen.« Caroline erzählte Marc, was sie aus den Briefen und dem Tagebuch erfahren hatte, bis zu dem Eintrag, den sie zuletzt gelesen hatte.
Peters Frau, die von der Affäre ebenso wenig gewusst hatte wie Wolfram, hatte das Ehepaar Heckeroth zu einem festlichen Abendessen eingeladen. Peter war es nicht gelungen, ihr das auszureden, und Elli, die einerseits neugierig darauf war, Gertrude kennenzulernen, sah diesem Abend dennoch voller Sorge entgegen.
Wir werden uns nicht ansehen dürfen, denn unsere Blicke würden uns verraten.
Über den Verlauf des Abends schrieb sie, dass sie froh sei, ihn überstanden zu haben.
Gertrude hat einen sezierenden Blick und ist dabei doch ganz Dame. Mit scheinbar harmlosen Fragen hat sie mich mehrfach aufs Glatteis geführt und mich wie ein dummes Schulmädchen aussehen lassen, ohne dass es auf sie zurückgefallen wäre. Sie strahlt Vornehmheit und Disziplin aus, man könnte auch sagen: elegante Kühle. Neben ihr fühle ich mich richtig lebendig, wie ein kleines flackerndes Feuer.
Was wird nur aus den Kindern werden? Peter sagt, dass man ihm im Falle der Scheidung das Sorgerecht entziehen wird. Was ist das für ein Recht, das Ehen nach Schuld und Unschuld trennt? Wer will das beurteilen? Peter wird die Kinder ganz Gertrude überlassen müssen. Sabrina, seine Kleine, ist ein affektiertes Prinzesschen. Aber Christian hat mich beeindruckt. Mit seinen zwölf Jahren hat er sich ganz einer Leidenschaft verschrieben. Seine Seele brennt für die Musik, und er ist so begabt, dass seine Lehrer ihm eine große Zukunft voraussagen. Er hat uns das Adagio aus
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