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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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die Achseln. »Seine Beliebtheit stieß mich ab. Ich war ein materialistischer Phänomenologe. Und während Gregorian offen über alles das reden konnte, was er lernte, wurde meine Ausbildung streng überwacht, und ich durfte nichts davon weitererzählen. Mein Status in den Studentenzirkeln rührte daher, daß ich bei einer Kräuterkundigen studiert hatte, ehe ich nach Laputa gekommen war. Oh, ich war halt ihr dressiertes Äffchen! Ganz in Schwarz gekleidet, behängt mit Salzmausschädeln und Federfetischen. Ich spielte Suizid nicht so sehr deshalb, weil ich gewinnen wollte, sondern um den Hauch des Todes zu spüren - der morbide Schock war viel weiter verbreitet, als alle zugeben wollten. Ich machte dunkle Andeutungen, ich hätte gewonnen, weil ich über magische Kräfte verfügte. Gregorian hat sich vor Lachen bestimmt nicht mehr eingekriegt! Haben Sie jemals Suizid gespielt?«
    Der Bürokrat zögerte. »Einmal ... in meiner Jugend.«
    »Dann brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen, daß dabei gemogelt wird. Jeder, der dumm genug ist, sich an die Regeln zu halten, der verliert. Ich beherrschte gerade die grundlegenden Täuschungsmanöver - das Anzapfen zusätzlicher Datenquellen, die Verzögerung des Signals des Gegners durch eine Millisekundenschaltung, das übliche halt - und stand im Ruf, ein Geisteskrieger zu sein. Gregorian aber schlug mich dreimal in Folge. Ich hatte eine Geliebte, so ein Miststück aus dem Inneren Zirkel, mit derart aristokratischen, nahezu ätherischen Gesichtszügen, daß dazu drei Generationen intensiver Genmanipulation nötig waren. Er hat mich vor ihr und seinem Vater und meinen wenigen Freunden gedemütigt.«
    »Sie kennen seinen Vater? Was für ein Mensch war er?«
    »Ich habe keine Ahnung. Ich wurde gelöscht, bevor wir den Saal verließen. Sein Vater war eine so bedeutende Persönlichkeit, daß er es nicht riskieren durfte, mit den Spielen in Verbindung gebracht zu werden. Ich weiß bloß noch, daß er da war.
    Im Jahr darauf kehrte ich zusammen mit Gregorian ins Tideland zurück. Wir teilten uns ein Zimmer im Hotel meiner Eltern, als ob wir eng befreundet gewesen wären. Inzwischen hatte sich unsere Antipathie in Haß verwandelt. Wir vereinbarten, ein Zauberduell auszutragen - jeder drei Fragen, bei vollem Einsatz.«
    Als wir am Abend loszogen, um Alraune zu suchen, war es feucht und bedeckt. Wir gruben auf dem Armenfriedhof, wo wir ungestört bleiben würden. Gregorian richtete sich als erster auf, mit dreckbeschmierten Händen. Ich hab was, sagte er. Er brach die Wurzel entzwei und hielt mir ein Stück vor die Nase. Alraune hat einen sehr intensiven Geruch. Erst als ich meine Hälfte verschluckt hatte - sein Lächeln hätten Sie sehen sollen! -, kam mir der Gedanke, er könnte sich die Hände mit Alraunensaft eingerieben und mir statt dessen eine Halbmannwurzel gegeben haben, die nahe mit der Alraune verwandt ist, sich aber mit einem simplen Gegenmittel neutralisieren läßt. Zu spät. Ich mußte ihm vertrauen. Wir warteten, bis die Bäume von innen heraus grünlich zu leuchten begannen und bis der Wind rauschte. Fangen wir an, sagte ich.
    Gregorian sprang auf und schritt mit ausgebreiteten Armen mitten durch die Knochen hindurch, wobei er die Gerippe zum Klappern brachte. Sie wurden natürlich schlecht gepflegt. Die Farbe war verwittert, und die Hälfte der Knochen war auf die Erde gefallen, so daß wir mit unseren Füßen darauf traten. Die Todeskräfte stiegen davon auf und krochen mir unter die Haut, und das machte mich mutig. Der Tod machte mich stark. Dreh dich um und sieh mich an! befahl ich ihm. Oder hast du Angst?
    Er drehte sich um, und zu meinem Entsetzen stellte ich fest, daß er das Aussehen der Krähe angenommen hatte. Er hatte einen riesigen, schwarzen Kopf; einen schwarzen Schnabel, schwarze Federn, leuchtende Obsidianaugen. Am Ende des Schnabels war ein kleines Büschel haarähnlicher Federn, in der Mitte saßen zwei schmale Atemschlitze. Ich war noch nie bei einer Geisterbeschwörung dabeigewesen. Das war die erste Frage, krächzte er. Nein, ich habe keine Angst.
    Ich hielt das für eine Illusion, eine Folge der Alraune. Aufgebracht trat ich vor und packte ihn bei den Armen. Die kleinen Tode flossen in ihn hinein und kämpften unter seiner Haut, so daß seine Muskeln zuckten und sich verkrampften. Ich drückte zu. Damals war ich stark, müssen Sie wissen. Mein Griff hätte ihm eigentlich das Blut abdrücken und seinen Arm lähmen müssen. Die Todeskräfte

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