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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Vorwürfe.
    Sie verließ mich.
    Jedoch nicht das Schwarze Tier. Ich wurde wegen des Duells von Laputa ausgewiesen. Als ich nach Hause kam, stand mitten auf dem Eßzimmertisch eine ausgestopfte Krähe. Ein großes, höhnisches Ding mit ausgebreiteten Flügeln. Niemand, der seine fünf Sinne beisammen hatte, würde so etwas auf einen Eßtisch stellen. Was hat das zu bedeuten? fragte ich. Meine Mutter glaubte, ich scherzte. Wer hat das hier hingestellt? wollte ich wissen. Sie stammelte Entschuldigungen. Ich brüllte und stieß den Tisch um. Wie konntet ihr mir das antun?
    Mein Vater meinte, ich würde irrereden und solle mich entschuldigen. Ich nannte ihn einen senilen alten Trottel. Wir rangelten miteinander, und ich fügte ihm eine Kopfverletzung bei. Er mußte sich in Port Deposit behandeln lassen. Meine Eltern enterbten mich und machten mir meinen Familiennamen streitig. Ich mußte einen neuen Namen annehmen.
    Wer war das Schwarze Tier? Ich war besessen davon. Meine Familie hatte ich bereits verloren; jetzt gab ich auch meine Freunde auf. Es war besser, allein zu leben, als mit einem Verräter im Rücken. Das Schwarze Tier verhöhnte mich trotzdem weiter. Wenn ich aufwachte, war meine Brust mit schwarzen Federn bedeckt. Oder ich erhielt einen Brief von Gregorian, in dem er mir Dinge mitteilte, die niemand wissen konnte. Ich hatte Alpträume. Durchreisende Fremde erzählten Geschichten aus meiner Kindheit und peinliche Details aus meinen Liebesaffären.
    Ich wurde allmählich verrückt.
    Es kam der Tag, da meine Isolation komplett war, mein Leben zerstört, meine Ambitionen gescheitert. Ich lebte allein in einer Hütte am Rande der Salzmarsch. Immer noch hinterließ das Schwarze Tier seine Spuren. Wenn ich vom Kräutersammeln zurückkehrte, war das Wort ›Krähe‹ auf mein Bett gekritzelt. Auf der Straße verfolgte mich höhnisches Gelächter.
    Irgendwann begann ich an Selbstmord zu denken, damit das endlich ein Ende nähme. Ich hielt mir das Messer ans Herz und bestimmte sorgfältig den Stoßwinkel.
    Da öffnete sich auf einmal die Tür - ich meinte, sie abgeschlossen zu haben, aber sie öffnete sich trotzdem -, und vor mir stand Gregorian. Er grinste mich an, nichts als Zähne und Bosheit, und sagte: Unterwirf dich.
    Daraufhin verneigte ich mich vor ihm. Er nahm mich mit in einen sternförmigen Raum im Palast der Rätsel, mit einer Kuppel, in deren Mitte sich fünf gewaltige Holzbalken trafen, zwischen denen blauer Stuck mit goldenen Sternen war. Dort kopierte er mein gesamtes Wissen über Kräuter - das war alles, was ihn an mir interessierte - und löschte den Großteil meiner Emotionen, wobei er mir nur ein fades Bedauern übrigließ. Und als ich kein potentieller Rivale mehr für ihn war, stellte ich die Frage, die mein Leben zerstört hatte: Wer war das Schwarze Tier?
    Er beugte sich vor und flüsterte mir ins Ohr.
    Du selbst, sagte er.«

    Unvermittelt sprang Orphelin auf und ließ seine Tasche zuschnappen. »Meine Diagnose lautet, daß man Ihnen drei Tropfen Engelswurztinktur gegeben hat. Dabei handelt es sich um ein starkes Halluzinogen, das den Betreffenden, wenn es seine Wirkung voll entfaltet hat, spirituellen Einflüssen gegenüber empfänglich macht, jedoch keine ernsthaften Nachwirkungen zeitigt. Sie leiden unter leichtem Vitaminmangel. Lassen Sie sich von Mutter Le Marie einen Teller mit Yamswurzeln zubereiten, dann kommen Sie schon wieder in Ordnung.«
    »Warten Sie! Wollen Sie damit sagen, Gregorian habe Ihren Stellvertreter im Palast der Rätsel angezapft?« Das kam selten vor, aber ausgeschlossen war es nicht. »War das die Strafe dafür, daß Sie beim Suizid gegen ihn verloren haben?«
    »Es ist mir klar, daß Sie das denken würden«, meinte Orphelin. »Mit Ihresgleichen kenne ich mich aus. Sie sehen schon lange nichts mehr.« Als er die Tür öffnete, drangen die Schreie aus dem gegenüberliegenden Zimmer ungedämpft herein.
    Direkt vor der Tür stand Mutter Le Marie, mit dem Rücken zu ihnen, und starrte durch die Tür auf eine übel zugerichtete Frau, die bewußtlos am Boden lag. Auf dem Bildschirm öffnete sich eine Tür, und jemand trat ins Zimmer. Mutter Le Marie schnappte nach Luft. »Also, daß sie die Figur auftreten lassen würden, hätte ich nie gedacht.«
    »Wen denn, meist du etwa die Meerjungfrau?«
    »Nein, nein, den Außenweltler. Sieh mal - Miriam hatte eine Fehlgeburt, und er ist zu spät gekommen. Aber er hat das Kind in die Biostasis versetzt, und jetzt nimmt er es mit in

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