In Zeiten der Flut
hätten ihn umbringen sollen. Er aber schüttelte meine Hände mühelos ab und lachte.
Mit deinen kleinen Tricks kannst du der Krähe nichts anhaben.
Woher sollte ich wissen, daß ich einer Krähe begegnen würde? fragte ich. Ich spürte jenes Entsetzen, das daher rührt, daß man völlig ins Schwimmen gekommen ist.
Das war die zweite Frage. Die Krähe tippte mit dem Schnabel gegen einen Totenschädel und versetzte das ganze Skelett in Schwingung. Ich weiß alles über dich. Ich habe einen Informanten, der mir alles erzählt. Das Schwarze Tier.
Wer ist das Schwarze Tier? schrie ich.
Das war die dritte Frage. Die Krähe steckte den Schnabel in eine Augenhöhle des Schädels und zog eine kleine Leckerei heraus. Zwei davon habe ich beantwortet, und jetzt bin ich dran. Als erstes sage mir: Was bedeutet der Satz, Miranda ist schwarz?
Ich war wütend darüber, wie er mir die Fragen entlockt hatte, aber bei einem solchen Duell geht es darum, seinen Willen miteinander zu messen; es war alles mit rechten Dingen zugegangen. Eine Handbreit unter der Erde, sagte ich, ist die Weltenkugel ein Ei aus Schwärze. Das Sternenlicht dringt dort nicht hin; nur Prospero, Ariel und Caliban wetteifern dort um Einfluß. So nah ist das Mysterium. Das war alles aus dem Katechismus hergebetet, wissen Sie, reiner Kinderkram, und so gewann ich mein Selbstvertrauen zurück. Denn unter dem Schädel ist das Gehirn schwarz. Der Magier weiß dies und kämpft um Einfluß.
Die Krähe sträubte das Gefieder, dann öffnete sie den Schnabel und schleuderte ein dunkles Knorpelstück weg. Diese schwarze Zunge! Was versteht man unter dunklen Konstellationen?
Das sind die sternenlosen Zwischenräume zwischen den hellen Sternbildern. Der Nichtinitiierte vermag sie nicht zu erkennen und glaubt, sie existierten nicht, aber einmal darauf hingewiesen, kann man sie nicht wieder vergessen. Sie symbolisieren die Mysterien, die jeder meistern kann, von denen aber nur wenige begreifen, daß sie existieren.
Die Krähe stocherte mit der Schnabelspitze zwischen den Zähnen. Ich würde dir ja eine Made anbieten, sagte er, aber es reicht kaum für mich. Eine letzte Frage: Wer ist das Schwarze Tier?
Was meinst du damit? sagte ich wütend. Ich habe dir dieselbe Frage gestellt, und du hast sie nicht beantwortet. Ich glaube nicht an dein Schwarzes Tier.
Die Krähe warf den Kopf zurück und schrie triumphierend. Die kleinen, glänzenden Augen waren dunkle Novae an Bosheit. Er streckte Daumen und Zeigefinger vor und meinte, so lang ist deine Erektion. Deine Geliebte hatte mal mit dem Komitee für Informationsfreiheit zu tun, und nur das Geld ihrer Mutter vermochte den Skandal niederzuschlagen. Du verdächtigst sie der Untreue, weil sie zu deinen Eskapaden schweigt. Bis weit in die Pubertät hast du ins Bett gepinkelt - nachdem sie dein Blasenproblem kuriert hatte, gingst du bei deiner Kräuterfrau in die Lehre. Das Schwarze Tier hat mir alles über dich erzählt. Das Schwarze Tier ist jemand, der dir sehr nahe steht. Du vertraust dem Schwarzen Tier, aber das solltest du nicht. Das Tier ist nicht dein Freund, sondern meiner.
Daraufhin ging er weg. Ich rief ihm nach, unser Duell sei noch nicht beendet, es müsse einen eindeutigen Sieger geben. Er tauchte nicht wieder auf. Ich erzählte meinen Eltern, er habe abreisen müssen.»
Dr. Orphelin seufzte. »Gregorian verschwand aus meinem Leben. Vielleicht wechselte er zu einer anderen Niederlassung. Die Frage ging mir jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Wer war das Schwarze Tier? Welcher falsche Freund hatte Gregorian meine Geheimnisse anvertraut? Als ich eines Morgens aufwachte, war eine Zeichnung an die Wand geheftet, die eine im Flug befindliche Krähe darstellte. Ich weckte meine Geliebte auf und zeigte darauf. Was ist das? wollte ich wissen.
Das ist eine Vogelzeichnung, sagte sie.
Was bedeutet sie?
Das ist bloß eine Zeichnung, sagte sie. Bis jetzt hast du nichts dazu gesagt. Sie legte mir ihre Hand auf den Arm. Ich stieß sie weg. Ich war gestern nicht da, sagte ich. Sie war verwirrt und brach in Tränen aus. Bist du das Schwarze Tier? fragte ich sie. Bist du es?
Ich vermochte in ihrem glatten Gesicht nicht zu lesen. Diese komplizierte, abgesehen von der Nase fast plane Fläche, deren Geometrie ich stundenweise mit Fingern, Zunge und Auge erkundete, erschien mir jetzt wie eine Maske. Welche Lüge mochte dahinter verborgen sein? Ich stellte ihr verschiedene Fallen. Ich überfiel sie mit Fragen. Ich machte ihr absurde
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