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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Der Arzt hob die Arme. »Fassen Sie mich so fest es geht bei den Handgelenken.« Chu nahm den einen Arm, Mintouchian den anderen. »Ziehen Sie! Wir sind nicht zum Händchenhalten hier.«
    Sie gehorchten, und der Arzt beugte sich allmählich vor, wobei sein Kopf schlaff auf die Brust herunterhing. Beide mußten sich anstrengen, um ihn hochzuziehen.
    Orphelin hob jäh den Kopf. Sein Gesicht hatte sich verwandelt. Seine Augen waren weit aufgerissen und erschreckend weiß. Sie zitterten leicht. Als sich seine Lippen teilten, glotzte aus seinem Mund ein drittes Auge hervor.
    »Krischna!« keuchte Mintouchian. Alle drei Augen blickten ihn an, dann schwenkten sie ab. Der Bürokrat starrte entsetzt auf das kalte dritte Auge.
    Orphelin starrte unverwandt zurück. Der unheimliche Dreifachblick drang wie ein Dom tief in den Schädel des Bürokraten. Lange Zeit atmete niemand.
    Dann sank der Kopf des Arztes schlaff auf die Brust.
    »In Ordnung«, sagte er ruhig. »Sie können jetzt loslassen.« Sie gehorchten. »Hatten Sie jemals eine spirituelle Ausbildung?« fragte er.
    Der Bürokrat hatte das Gefühl, soeben aus einem Traum erwacht zu sein. Was er gesehen hatte, war einfach unmöglich. »Wie bitte?«
    »Zunächst einmal war die Wesenheit, mit der Sie gesprochen haben, kein Drul, so verlockend diese Vorstellung für Sie auch sein mag. Der letzte Drul starb in Gefangenschaft, im Kleinjahr 143 des ersten Großjahres nach der Landung. Was Sie gesehen haben, war ein Avatara eines ihrer Geister, welches wir den ›Fuchs‹ nennen. Das ist eine wichtige, wenn auch in mancherlei Hinsicht unzuverlässige Naturkraft, die im allgemeinen als günstiges Vorzeichen betrachtet wird.«
    »Ich habe mich mit einem materiellen, lebendigen Wesen unterhalten, das weder ein Gespenst noch eine Halluzination war.« Das Zimmer war zum Leben erwacht, jede einzelne Teppichfaser wellte sich in einer unsichtbaren Strömung, über die Decke tanzten Lichtreflexe.
    »Vielleicht«, schlug Mintouchian vor, »haben Sie sich mit einem Maskierten unterhalten.«
    Die Übelkeit machte den Bürokraten reizbar. »Blödsinn! Was sollte jemand mit einer Fuchsmaske nachts im Wald verloren haben?«
    Chu streichelte ihren Schnurrbart. »Vielleicht hat er auf Sie gewartet. Ich finde wirklich, wir sollten die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß er Teil des komplizierten Spiels war, das Gregorian mit uns spielt.«
    »Gregorian?« fragte der Arzt überrascht.

    »Ich habe auf einer anderen Welt studiert«, sagte Orphelin, nachdem er die anderen hinausgeschickt hatte. »Vor vielen Jahren. Ich hatte ein Stipendium der Mittelwelten.« Er wandte dem Bürokraten den Rücken zu; er hatte erst angefangen zu sprechen, als die Tür ins Schloß gefallen war. »Die sechs elendsten Jahre meines Lebens habe ich auf Laputa Extension verbracht. Die Leute, die die Stipendien vergeben, lassen völlig außer acht, was es heißt, von einem Planeten mit künstlich niedrig gehaltenem technischen Niveau auf eine der schwebenden Welten überzuwechseln.«
    »Was hat das alles mit Gregorian zu tun?«
    Orphelin sah sich nach einem Stuhl um und nahm erschöpft Platz. Sein Gesicht war verkniffen und grau. »Dort bin ich Gregorian zum erstenmal begegnet.«
    »Waren Sie miteinander befreundet?« Jedesmal, wenn der Bürokrat Orphelins Gesicht zu lange anschaute, schmolz das Fleisch Schicht um Schicht, bis der grinsende Totenschädel daraus hervortauchte. Allein dadurch, daß er regelmäßg wegschaute, vermochte er die Vision zu bannen.
    »Nein, natürlich nicht.« Der Arzt stierte blicklos auf ein von sepiafarbenen Mulden umgebenes Kruzifix. Seine verschränkten Hände lagen auf seinen Knien. »Er war mir von Anfang an zuwider.
    Wir sind uns in den Duellsälen des Palasts der Rätsel begegnet. Suizid war offiziell verboten, aber die Behörden sahen darüber hinweg - ein Übungsfeld für angehende Führerpersönlichkeiten und so weiter. Er hatte einen Kreis von Bewunderern, die ihm dabei zuhörten, wie er sich über Kontrolltheorie und die biologischen Wirkungen projektiver Chaoswaffen ausließ. Ein beeindruckender junger Mann mit einer charismatischen Selbstsicherheit. Er hatte einen schlechten Ruf. Sein Teint war blaß, und er trug den Außenweltlerschmuck, wie er damals modern war: in die Finger eingelassene Blutsteine und silberne Armbänder, durch deren Kristallkanäle die Adern umgeleitet wurden.«
    »Ja, den Stil kenne ich«, sagte der Bürokrat. »Recht teuer, soviel ich weiß.«
    Orphelin zuckte

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