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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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sich destabilisierend auswirken. Sogar die Abteilung für Techniktransfer könnte betroffen sein. Ararat stand im Ruf, die einheimische Technik voranzutreiben - nimm nur mal die Karbonfaseranker als Beispiel.«
    »Und wie komme ich dorthin?«
    Sie schloß die Schublade. »Überhaupt nicht.«
    »Simone.« Der Bürokrat nahm ihre Hand und drückte sie.
    Sie entzog ihm ihre Hand. »Das ist vollkommen ausgeschlossen.« Dann fügte sie in munterem Ton hinzu: »Weißt du was? Du hast dich doch immer so für meine Arbeit interessiert. Wo du schon mal da bist, möchte ich dir etwas Besonderes zeigen.«
    Der Bürokrat hatte sich nie für Simones Arbeit interessiert, und das wußte sie. »Einverstanden«, sagte er. Sie öffnete die Tür zu einem kleinen Raum und trat geduckt hindurch. Der Bürokrat folgte ihr.
    Sie gelangten in eine geisterhafte Welt. Vor einem papierweißen Himmel standen perfekte Bäume in Reih und Glied. Sie befanden sich auf einer vereinfachten Straße und blickten auf ein kleines Städtchen mit grob angedeuteten Gebäuden. »Das ist ja Lightfoot«, meinte der Bürokrat erstaunt.
    »Im Maßstab eins zu eins«, sagte Simone stolz. »Was meinst du?«
    »Der Fluß hat sich in der Zwischenzeit ein wenig nach Norden verlagert.«
    Die Kartographin setzte sich die Brille auf die Nase und schaute ihn durch die dicken Gläser hindurch an. »Ja, ich verstehe«, sagte sie schließlich. »Ich werde deine Information berücksichtigen.«
    Der Fluß machte einen Satz, und Simone führte den Bürokraten in die Stadt. Er folgte ihr über eine Straße, die eigentlich nur aus zwei Strichen bestand, in ein schematisches Haus, nichts als Luft und Linien. Sie stiegen die Treppe hoch zu einem Zimmer mit flüchtig skizzierten Möbeln. Simone öffnete eine Schublade in der Frisierkommode und holte eine handgezeichnete Landkarte heraus. Sie breitete die Karte auf dem Bett aus.
    »An so einem Ort haben wir uns immer getroffen«, meinte der Bürokrat versonnen. »Erinnerst du dich noch an das Gefummel, weil wir zu jung und unerfahren waren, um miteinander zu schlafen?«
    Einen Moment lang meinte er, Simone werde ihn anfahren. Dann lachte sie. »Aber ja. Ich erinnere mich. Trotzdem gab es auch schöne Momente. Damals warst du so hübsch, ohne Kleider.«
    »Ich fürchte, ich habe seitdem etwas zugelegt.«
    Einen Moment lang verband sie ein warmer, kameradschaftlicher Einklang. Dann hustete Simone und tippte mit dem Fingernagel auf die Karte. »Das habe ich von meinem Vorgänger. Er wußte, wie schwer es ist, mit inadäquaten Daten zu arbeiten.« Mit einem Anflug von Bitterkeit fügte sie hinzu: »Viele Informationen werden auf diese Weise weitergereicht. Es ist, als wäre die Wahrheit in den Untergrund gegangen.«
    Der Bürokrat beugte sich über die Karte des Tidelands und fuhr dem Flußlauf mit dem Fingernagel nach. Er hatte sich nicht sehr verändert, seit die Karte angefertigt worden war. Ararat war deutlich eingezeichnet. Es lag mehrere hundert Kilometer südlich des Flusses, nicht weit von der Küste entfernt. An drei Seiten grenzte es an die Salzmarsch. Keine Straßen führten dorthin. »Wenn das als geheim eingestuft ist, wie kommt es dann, daß die Karte immer noch existiert?«
    »Man versteckt Informationen nicht dadurch, daß man sie vernichtet. Man versteckt sie, indem man sie mit falschen Informationen durchsetzt. Hast du dir die Karte eingeprägt?«
    »Ja.«
    »Dann leg sie wieder in die Schublade und laß uns gehen.«
    Sie führte ihn aus dem Haus hinaus, die Straße entlang, fort von Lightfoot und der Karte und der Kommode, bis zurück ins Kartenzimmer. »Ich danke dir«, sagte der Bürokrat. »Das war höchst aufschlußreich.«
    Simone schaute ihn nachdenklich an. »Ist dir auch klar, daß wir uns niemals begegnet sind?«

    Der Bürokrat legte die Schneckenmuschel auf Philippes Schreibtisch. Der zweite Philippe sah von seiner Arbeit auf und sagte: »Das haut nicht hin, es kann keinen Verräter in der Abteilung geben.«
    »Warum nicht?«
    Beide Philippes antworteten gleichzeitig.
    »... das würde ...«
    »... einfach nicht hinhauen, verstehen Sie. Es gibt zu viele Sicherungen ... «
    »... das Gleichgewicht der Kräfte ...«
    »... Überwachungsgremien. Nein, ich fürchte ...«
    »... das ist vollkommen ausgeschlossen.«
    Beide sahen sich an und brachen in schallendes Gelächter aus. Dem Bürokraten kam der Gedanke, daß jemand, dem seine eigene Gesellschaft dermaßen angenehm war, vielleicht auch im physikalischen

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