Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
Vom Netzwerk:
ihrer Tür, bis er hörte, wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte. Hier in der Stadt konnte sie seine Vorsicht sogar verstehen.
    Wie also dann an die Karte kommen? Als einzige andere Möglichkeit blieb ihr, über das Fenster in den Raum ihres Begleiters zu gelangen. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und schob das Paneel auf. Wenigstens lagen die Räume zum Hof. Auf der Straßenseite hätte sie niemals unbemerkt zu Rondars Fenster hinüber klettern können. Sie lehnte sich hinaus und studierte die Hauswand. Die Entfernung zum Nachbarzimmer war nicht allzu groß und unter dem Fenster verlief das leicht geneigte Dach des darunter liegenden Geschosses. Es maß etwa drei Fuß in der Breite. Sie konnte sich an der Wand abstützen und über das Dach laufen. Das schien nicht so schwierig zu sein. Allerdings befanden sich ihre Räume im zweiten Stockwerk. Falls sie abrutschte und hinunter fiel, würde sie sich mit Sicherheit ein paar Knochen brechen. Außerdem bestand immer das Risiko, dass jemand im falschen Moment über den Hof ging oder aus einem der anderen Fenster sah und sie entdeckte. Wenn sie dabei erwischt wurde, wie sie in Rondars Zimmer einstieg, würde es schwer werden, eine plausible Erklärung zu finden.
    Ishira zögerte, die Hand am Fensterrahmen. War es verrückt, was sie vorhatte? Abgesehen von der unmittelbaren Gefahr konnte sie sich damit in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Kanhiro hatte sie beschworen, kein Risiko einzugehen. Bestimmt wäre er entsetzt, wenn er wüsste, was sie vorhatte. Aber sie musste einfach versuchen, an die Karte zu kommen. Die Gelegenheit, sich zwei oder drei Stunden ungestört und bei gutem Licht mit der Zeichnung zu beschäftigen, kam zweifellos so schnell nicht wieder.
    Sie musterte die übrigen Fenster. Die meisten Paneele waren geschlossen und hinter den beiden, die aufgezogen waren, konnte sie keine Bewegung erkennen. Ishira holte tief Luft und sandte ein Stoßgebet an ihre Ahnen. Vorsichtig kletterte sie durch die Öffnung und ließ sich auf das Dach hinab. Als ihr Blick in den Hof fiel, bildete sich in ihrem Magen ein Knoten. Es ging doch tiefer hinunter, als sie gedacht hatte. Die Muskeln in ihren Beinen schienen sich in Busho zu verwandeln. Sie schluckte mehrmals. Nicht nach unten sehen , ermahnte sie sich selbst. Solange du nicht nach unten siehst, ist alles in Ordnung.
    Sorgsam darauf bedacht, ihren Blick stets auf Augenhöhe zu halten, tastete sie sich mit der linken Hand an der Wand entlang. Zum Glück waren die Dachziegel trocken und boten ihren nackten Füßen genügend Halt. Dennoch hämmerte ihr Herz vor Angst. Langsam schob sie sich hinüber zu Rondars Fenster. Sie hatte ihr Ziel beinahe erreicht, als sie irgendwo unter sich eine Tür klappen hörte. Dann Schritte. Jemand kam über den Hof! Sie duckte sich und wich so weit, wie sie konnte, an die Hauswand zurück. Hoffentlich sah der- oder diejenige nicht nach oben! Sie hielt den Atem an, überzeugt davon, dass man ihren Herzschlag bis unten hören konnte, und wagte nicht, sich zu rühren. Die Schritte klapperten weiter, ohne zu stocken. Als auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes eine weitere Tür klappte, ließ Ishira seufzend die Luft aus ihren Lungen entweichen und richtete sich wieder auf.
    Beim Nachbarzimmer angekommen, sah sie sich dem nächsten Hindernis gegenüber. Zwar gab es in den oberen Stockwerken keine Schiebeläden, doch das Fensterpaneel ließ sich nicht bewegen. Rondar musste es von innen verriegelt haben. Sie ärgerte sich darüber, dass sie daran nicht früher gedacht hatte. Natürlich würde er nicht die Tür abschließen und das Fenster offen lassen! Zum Glück waren die Rahmen in inagischer Tradition mit Papier bespannt. Bei goharischen Fenstern hätte sich die Sache weitaus schwieriger gestaltet. Ishira versuchte abzuschätzen, auf welcher Höhe der Riegel lag, bevor sie mit ihrem kleinen Messer eine Klappe in das Papier schnitt, um hineingreifen zu können. Ihre Finger ertasteten das Holz des Riegels. Er ging etwas schwer, aber schließlich schaffte sie es, ihn so weit zu drehen, dass sich das Paneel bewegen ließ. Rasch schob sie das Fenster auf und kletterte hindurch. Mit zitternden Knien lehnte sie sich gegen die Wand und schloss einen Moment die Augen. Geschafft!
    Rondars Satteltaschen lagen neben dem Bett auf dem Boden. So leise wie möglich schlich Ishira hinüber. Sie hatte sich eingeprägt, wo er die Landkarte aufbewahrte und fand sie auf Anhieb. Als sie die Rolle

Weitere Kostenlose Bücher