INAGI - Kristalladern
gerötet und ihre Wangen feucht von Tränen, doch zu seinem Erstaunen las er in ihrer Miene weder Bitterkeit noch Ablehnung. »Ich danke Euch, Deiro«, sagte sie leise. Fassungslos verfolgte er, wie sich ihre Lippen zu einem winzigen Lächeln verzogen. »Ihr seid gar nicht so hart, wie Ihr die Menschen um Euch herum glauben machen wollt.«
Yaren stieß ein schnaubendes Lachen aus, um seine plötzliche Verlegenheit zu überspielen. »Zieh besser keine falschen Schlüsse«, entgegnete er schroff. »Ich habe nur darauf geachtet, dass du weiterhin deine Pflicht erfüllen kannst.«
Er ließ die Decke los und trat ans Fenster, um seine Fassung zurückzugewinnen. Obwohl es langsam heller wurde, erkannte er nicht viel mehr als sein eigenes Gesicht, das sich verschwommen in den bleigefassten Scheiben spiegelte. Wie schaffte dieses verwünschte Mädchen es nur immer wieder, weiter zu ihm durchzudringen, als er zulassen wollte? Er wandte sich zum Gehen. »Ich werde dich jetzt allein lassen. Wenn du etwas brauchst – ich bin nebenan.«
Seine letzten Worte wurden vom Klang des Gongs überlagert, der Gohari und Inagiri den Beginn des neuen Tages verkündete. Das Mädchen seufzte. Ungläubig sah Yaren zu, wie sie mit einer Hand das Bettzeug zurückschlug und sich mit schmerzvoll verzogenem Gesicht aufrichtete. »Was hast du vor?« fragte er mit hochgezogenen Brauen.
Entschlossen streckte sie die Beine aus dem Bett und stellte ihre Füße auf die Dielen. »Meine Pflicht zu erfüllen«, gab sie zurück.
Yaren stieß entnervt die Luft aus. Sie konnte wirklich stur sein! »Ich habe nicht von heute gesprochen«, knurrte er. »Du bleibst, wo du bist. Ich werde dem Anreshir sagen, dass er die Sprengung einen Tag aussetzen soll.« Energisch packte er ihre Knöchel und schob ihre Beine zurück ins Bett. Sie starrte ihn an. Der Protest, zu dem sie hatte ansetzen wollen, erstarb auf ihren Lippen. »Und jetzt schlaf endlich!« Ohne ihre Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer und schloss vernehmlich die Tür hinter sich.
Kapitel XXIII – Das Herz des Kristalls
KANHIRO konnte sich nicht daran erinnern, jemals zuvor so früh zur Mine aufgebrochen zu sein. Schweigend verließ er hinter Kenjin das Haus und zog die Tür zu. Aus den umliegenden Fenstern drang schwach der Schein der Herdfeuer. Von ihren Nachbarn war noch niemand zu sehen. Vielleicht würde das Tor des Minengeländes um diese Zeit sogar noch geschlossen sein. Aber er hatte es einfach nicht ertragen, noch länger zu Hause herumzusitzen und vor sich hin zu brüten oder es Ishiras Bruder gleichzutun, der wie ein gefangener Keiko im Raum hin und her gelaufen war. Obwohl ihm die Müdigkeit bleiern in den Knochen saß, war er hellwach. Weder er noch Kenjin hatten nach dem Auftritt von Ishiras Bewacher auch nur an Schlaf denken können. Die ganze Zeit hatte ihn das Bild verfolgt, wie der Kettenhund des Hemak seine Freundin aus dem Haus gezerrt hatte. Er musste einfach wissen, wie ihre Strafe ausgefallen war. Ob die Gohari sie… Kanhiro konnte den Gedanken nicht zu Ende führen. Langsam und tief holte er Luft, um sich zu beruhigen. Auch wenn er sich bewusst war, dass er seine Freundin ebenso wie in den vergangenen Tagen nicht sehen würde, wofür ganz gewiss ihr Bewacher verantwortlich war, wollte er zumindest den Anreshir nach ihr fragen. Von Bilar konnte er noch am ehesten eine vernünftige Antwort erwarten.
Die Kireshi am Dorftor unterbrachen ihre Unterhaltung und blickten ihnen spöttisch entgegen. »Ihr könnt es heute ja kaum erwarten, eure Arbeit zu beginnen. Wollt wohl als erste die Neuigkeiten hören, was?«
Sofort verspannte Kanhiro sich. Also wussten sie Bescheid. Wahrscheinlich hatte Ishiras nächtliche Aktion im Fort bereits die Runde gemacht. Er verhielt seinen Schritt und musterte die Wächter abwägend, während er mit sich rang, ob eine Antwort hier und jetzt es wert war, deren Sticheleien zu ertragen, oder ob er lieber bei seinem ursprünglichen Plan bleiben sollte.
»Was wisst Ihr über meine Schwester, Deiro?« platzte in diesem Moment Kenjin heraus und nahm Kanhiro die Entscheidung ab.
»Deine Schwester, hm?« Der angesprochene Gardist tauschte einen geheuchelt mitleidigen Blick mit seinem Kameraden. »Sollen wir es dem armen Jungen verraten?«
Der andere griente. »Warum nicht?«
»Na dann.« Der Wächter wandte sich wieder Kenjin zu. »Der Drachenjäger hat sie persönlich ausgepeitscht.« Er lachte auf. »Der war vielleicht in Rage! Ich habe gehört,
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