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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
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nicht noch mehr Ärger einhandeln. Sie konnte schon von Glück reden, dass dem Anreshir das Leben der Bergleute genug bedeutete, dass er den Hauer nicht ohne ihr Beisein hatte arbeiten lassen. Sein Vorgänger hätte die Trennung der Kristallader nicht einmal um eine Stunde verschoben, egal was Kiresh Yaren ihm erzählt hätte.
    Der Kiresh hatte sie auch heute zur Arbeit begleitet. Er stand an seinem üblichen Platz an der Wand und beobachtete sie. Doch seine Miene war weniger versteinert als sonst. Er wirkte eher in besorgter Weise wachsam – als hätte er Angst, sie könnte jeden Moment umfallen.
    Nachdenklich zog Ishira die Unterlippe zwischen die Zähne. Er gab ihr wirklich Rätsel auf. Er hätte sie bedeutend härter bestrafen können, wenn er gewollt hatte, aber irgendetwas hatte ihn veranlasst, Milde walten zu lassen. Und anschließend hatte er sich geradezu fürsorglich um ihre Verletzungen gekümmert. Als wäre jemand anders in seine Haut geschlüpft. Der Mensch, der er früher gewesen war? Vor jenem unglückseligen Ereignis?
    Als Ishira sich bückte und den vollen Korb auf ihre Schultern hievte, schlug der Schmerz mit einem Mal so heftig zu, dass ihr übel wurde. Ihr ganzer Rücken schien in Flammen zu stehen und die Verbände über rohes Fleisch zu scheuern. Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Der Gang verschwamm vor ihren Augen. Oh nein, sie würde doch nicht etwa ohnmächtig werden! Panisch streckte sie die Hand nach dem nächsten Halt aus.
    Unter ihren Fingern fühlte sie die glatte, warme Oberfläche der Kristallader. Das vertraute Kribbeln sprang auf ihre Fingerspitzen, lief über ihren Arm hoch zu ihrem Herzen und von dort weiter, bis es ihren gesamten Körper erfasst hatte. Der wortlose Gesang der Geister umschmeichelte sie wie ein lauer Sommerwind. Die wispernden Stimmen hallten lautlos in ihrem Kopf wider – wunderschön, lockend, drängend. Als wollten sie sie zu sich rufen. Das Verlangen, mit ihnen zu verschmelzen, wurde überwältigend. Halbherzig versuchte Ishira, ihre Hand von der Ader zu nehmen, doch sie konnte nicht die Kraft dafür aufbringen, wollte es in Wahrheit auch gar nicht. Es war, als würde die Kristallenergie sie festhalten, an sich binden. Ein Rest ihres Verstandes verlangte von ihr, dagegen anzukämpfen, doch schon einen Moment später hatte sie vergessen, weshalb. Sie gab ihren Widerstand auf. Die Musik folgte ihrer Einladung willig, strömte durch ihre Adern und schwemmte alle Gedanken und selbst die Schmerzen in ihrem Rücken davon. Zurück blieb eine eigenartige, aber nicht unangenehme Leere. Ihr Bewusstsein begann ihr zu entgleiten und sich im Raunen des Kristalls zu verlieren.
    Gleißendes Licht umhüllte sie. Es war dieselbe Helligkeit, die sie schon einmal erlebt hatte. Und wieder war ihr so, als würde ihr Körper sich in verwandeln.
    Ein Kel. Der Vergleich mit dem Meeresgeschöpf, das sie in Inuyara gegessen hatte, kam ihr ganz plötzlich in den Sinn. Als wären ihre Arme und Beine die Tentakel, die die gesamte Insel umspannten, und ihr Rumpf der Ursprung des Lichts. Die Quelle der Kristallenergie.
    Das Licht pulsierte im Einklang mit ihrem Herzschlag, als wäre es ein lebendes Wesen. Ihr Herz… das Herz des Kristalls… sie waren eins geworden. Sie selbst war die Energie, die durch die Kristalladern strömte.
    Aber etwas war falsch. Energie ging verloren. Wie Blut, das aus einer offenen Wunde sickerte. Die verbleibende Energie reichte nicht mehr aus, um die Enden der Kristallstränge zu versorgen. Die Tentakel verdorrten langsam wie eine Pflanze ohne Wasser. Und sie fühlte sich schwach… unsäglich schwach und… müde… Solange die… Wunde nicht geheilt war, würde weiter Energie ausströmen, bis –
    Eine Bewegung neben ihr. Eine Hand, die ihren rechten Ellbogen packte. Ein Arm um ihre Brust, der sie stützte. »He! He, was ist mit dir?« Eine männliche Stimme dicht an ihrem Ohr, unüberhörbar erschrocken. Die Hände des Mannes zogen sie von der Wärme auf ihrer linken Seite fort.
    Widerwillig öffnete Ishira die Augen. Sie lag auf Knien neben der Kristallader auf dem unebenen Felsboden. Sie konnte sich nicht erinnern, gestürzt zu sein. Hatte sie doch für einen Moment die Besinnung verloren?
    Der Mann, der neben ihr kauerte und sie festhielt, war Kiresh Yaren. Als er sah, dass sie sich allein halten konnte, ließ er sie los und griff nach den Trageriemen der Kiepe. Das Gewicht auf ihrem Rücken verschwand. Er streifte die Riemen über ihre Arme und

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