INAGI - Kristalladern
unwillkürlich zurück zu seiner Freundin. Er konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass sie nicht da war. Es war beinahe so, als fehlte ein Teil von ihm selbst. Jeden Tag bereute er mehr, dass er die Gelegenheit am Fluss ungenutzt hatte verstreichen lassen, aber es war wie verhext. Sobald er in Ishiras Nähe war, fühlte er sich unsicher wie ein kleiner Junge und brachte die Worte, die in seinem Herzen waren, einfach nicht über die Lippen. Vielleicht sollte er seinen Vater um Rat bitten. »Koru? Kann ich dich etwas fragen?«
»Sicher«, erwiderte Togawa, ohne vom Spielbrett aufzuschauen.
Kanhiro fuhr sich etwas verlegen mit der Hand durchs Haar. Er war es nicht gewöhnt, mit seinem Vater über solche Dinge zu reden. »Wie hast du Chara damals gesagt, was du für sie empfindest?«
Jetzt sah Togawa doch auf. Er lächelte wissend. »Ishira?« fragte er.
Kanhiro nickte. Das Gesicht seines Vaters nahm einen versonnenen Ausdruck an. »Vermutlich war ich damals genauso schüchtern wie du. Ich habe mich lange nicht getraut, deiner Mutter meine Liebe zu gestehen. Eine Weile habe ich mir eingeredet, sie würde es schon irgendwann von selbst merken, dass ich Gefühle für sie hegte. Als diese Strategie nicht zum Erfolg führte, habe ich mir schließlich ein Herz gefasst. An einem warmen Sommerabend spielte ich auf dem Rehime ein Lied, das ich eigens für sie komponiert hatte.« Er lächelte. »Dann habe ich sie geküsst und sie gebeten, meine Frau zu werden.«
Kanhiro sah seinen Vater beeindruckt an. »Du hast selbst ein Lied komponiert? Davon hast du mir noch nie erzählt.«
Ein Schatten glitt über das Gesicht des Älteren. »Ich habe es nach Kikuris Tod nie wieder gespielt. Es erschien mir nicht richtig. Es war ihr Lied.«
Kanhiro nickte langsam. »Verstehe.« Er kratzte sich am Kopf. »Wie’s aussieht, hätte ich doch mehr Mühe auf das Rehime verwenden sollen. So werden meine armseligen Fähigkeiten Ishira eher vergraulen als verzaubern.«
Sein Vater lachte leise. »Das stimmt wohl. Aber ich bin sicher, dir werden noch andere Ideen kommen.«
Kanhiro zögerte. »Ich habe ein bisschen Angst«, gestand er. »Dass Ishira nicht dasselbe für mich empfindet wie ich für sie.«
»Die heimliche Furcht eines jeden, der liebt«, erwiderte sein Vater. »Das Risiko wirst du eingehen müssen.« Sein Lächeln vertiefte sich. »Aber ich denke, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass Ishira dich abweisen könnte.«
Unvermittelt klopfte es. Togawa sah ihn fragend an. »Bist du noch mit Tasuke verabredet?«
Kanhiro schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist es Kenjin.«
Tatsächlich stand Ishiras Bruder in der Tür, seine Schlafmatte unter den Arm geklemmt. »Kann ich heute Nacht bei euch schlafen, Togawa?« fragte er ziemlich kleinlaut.
»Natürlich, Kenjin«, erwiderte Kanhiros Vater herzlich, »das weißt du doch.«
Sie hatten schon darauf gewartet, dass der Junge irgendwann ankommen würde. Kanhiro wusste von Ishira, dass Kenjin sich seit dem Tod seines Vaters davor fürchtete, allein zu sein. Auch wenn sie in getrennten Kammern schliefen, schloss ihr Bruder nie seine Tür und auch sie ließ ihre offen. Es war ein Wunder, dass er überhaupt so viele Tage im leeren Haus durchgehalten hatte. Er war wohl einfach zu stolz gewesen zuzugeben, wie sehr er unter der Trennung von seiner Schwester und dem Alleinsein litt. Lieber hatte er stur in seiner Kammer ausgeharrt und war nicht in Schlaf gekommen, wenn Kanhiro die dunklen Ringe unter seinen Augen richtig deutete. »Ich zeige Kenjin, wo er seine Sachen lassen kann«, sagte er zu seinem Vater.
»Tu das. Im Wandschrank ist übrigens noch eine zweite Decke, falls nötig.«
»Ich habe alles dabei«, wehrte Ishiras Bruder ab. Betreten blickte er auf seine Füße. »Ich will euch wirklich keine Umstände machen«, druckste er herum. »Es ist nur, dass… «
»…es ganz schön unheimlich ist, allein in einem leeren Haus zu schlafen?« half ihm Kanhiro. Kenjin nickte kaum merklich. »Ich fand es schon mutig von dir, dass du es überhaupt probiert hast«, fuhr Kanhiro fort, um ihn aufzumuntern. »Ich habe immer überall Gespenster gesehen.« Er legte den Arm um die Schultern des Jungen und schob ihn zur Treppe. »Na, komm, bringen wir dein Schlafzeug in meine Kammer.«
Kapitel VII – Fels und Kristall
IN ALLER FRÜHE stand Ishira mit Kiresh Rondar neben dem Mineneingang und wartete auf den Anreshir und den Hauer, der die Kristallader trennen würde. Die Lotterie war
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