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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
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gleichzeitig auf. In Kenjins Augen stand nackte Panik. Kopflos wollte er losstürzen, doch Kanhiro erwischte ihn gerade noch am Arm. »Warte, Ken! Wenn wir jetzt zurücklaufen, rennen wir vielleicht geradewegs in die Gefahr hinein!«
    Das Knirschen wurde lauter. Das Geräusch von Felsen, die sich gegenseitig zermalmten.
    Ishiras Bruder versuchte mit aller Macht sich loszureißen. »Aber ich will hier drinnen nicht sterben!« schrie er verzweifelt.
    Kanhiro hielt ihn eisern fest. »Glaubst du etwa, ich?« Er traf eine Entscheidung. »In den Quergang zur Kristallader!«
    Kenjin wollte loslaufen, doch Togawa, der den Blick nicht von der Stollendecke genommen hatte, wirbelte plötzlich herum und stieß ihn zurück in die Sackgasse. »Bleibt, wo ihr seid!« schrie er.
    Seine letzten Worte gingen in einem gewaltigen Krachen unter. Kanhiro stolperte rückwärts, als Ishiras Bruder gegen ihn prallte, und stieß mit dem Rücken hart gegen die Felswand. Unmittelbar vor ihm brach der Stollen ein. Sein Vater verschwand hinter einem Vorhang aus Steinen und Sand.
    Kanhiros Herz setzte einen Schlag aus. »Koru!«
    Staub geriet ihm in den Hals. Er hustete und rang keuchend nach Luft. Kenjin presste sich gegen ihn. Beinahe unbewusst drückte Kanhiro den Jungen an sich, während sein Blick an den herabstürzenden Felsen hing, die sich immer höher über seinem Vater aufschichteten. Vor Entsetzen war er so betäubt, dass er nicht einmal schreien konnte. Sein Denken und Fühlen hatte ausgesetzt. Wie erstarrt wartete er darauf, dass die Gesteinsbrocken auch ihn und Ishiras Bruder unter sich begruben.

    * * *

    Ishira stand in Akoshis Nähe an der Stollenwand und lauschte dem Wispern der Kristallenergie. Obwohl sie sich sagte, dass es eigentlich unnötig war, sich so sehr zu konzentrieren, hatte sie Sorge, sie könnte andernfalls nicht rechtzeitig bemerken, wenn die Energie anstieg. Ihr Blick hing an der Ader, während der Gesang des Kristalls in ihrem Kopf flüsterte. Die meiste Zeit über klang er wie das Glucksen von Wasser oder das abendliche Summen der Insekten in den Ufergräsern des Ashikiri, doch manchmal glaubte sie, aus dem auf- und abschwellenden Wispern Worte in einer unbekannten Sprache herauszuhören. Das Wechselspiel von Licht und Schatten, der gleichmäßig singende Schlag des Hammers und das Raunen des Kristalls übten eine geradezu hypnotische Wirkung aus. Ishira ertappte sich dabei, wie sie einen Schritt auf die Ader zutrat, als das Verlangen, den Kristall zu berühren, übermächtig wurde. Während sie ihre Hand schon nach der Ader ausstreckte, stellte sie sich unwillkürlich Kanhiros Gesicht vor. Wäre ihr Freund so entsetzt wie beim letzten Mal? Oder wäre er jetzt, da er wusste, dass sie das Nahen von Shigen fühlen konnte, weniger besorgt? Hier würde jedenfalls niemand sie zurückhalten – weder Akoshi noch Rondar noch der Anreshir.
    Als ihre Fingerspitzen über die glatte Oberfläche strichen, wallte das Wispern der Energie augenblicklich auf, als hätte sie durch die Berührung eine Tür geöffnet und den Raum betreten, in dem das Raunen seinen Ursprung hatte. Die Energie prickelte über ihre Hand bis in ihren Arm hinauf. Wärme flutete durch ihre Adern und breitete sich zur Mitte ihres Körpers aus. Der Gesang des Kristalls wob sie ein, bis er jede einzelne Faser ihres Seins zu umhüllen schien. Zugleich flossen alle Gedanken und Ängste aus ihr heraus. Ishira schloss die Augen und überließ sich für einen Moment dem wohltuenden Gefühl, der Welt entrückt zu sein – ein Zustand, den sie sonst nur erreichte, wenn sie auf dem Rehime spielte.
    Helligkeit stach schmerzhaft durch ihre geschlossenen Lider. Als sie die Augen erschrocken aufriss, sah sie sich auf allen Seiten von gleißender Helligkeit umgeben, als würde sie inmitten einer Säule aus Licht stehen. Geblendet wollte sie ihre Augen mit der Hand abschirmen, doch sie konnte ihren vertrauten Körper nicht spüren. Stattdessen hatte sie plötzlich das absurde Gefühl, anstelle von Beinen und Armen Tausende unbeweglicher, wurzelähnlicher Stränge zu besitzen, die sich endlos in alle Richtungen erstreckten. Die Energie war ihr Blut, das vom Herzen in ihre Extremitäten strömte.
    In das Pulsieren ihres eigenen Herzschlags mischten sich weitere Energieströme. Jeder Strom war wie Musik. Stimmen, die sich zu einem Chor formten. Der wortlose Gesang gab ihr neue Kraft, peitschte ihr Blut höher und höher, bis ihr Herz in einem berauschenden Gefühl der

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