Incarceron
sich dabei handelt.«
Staub rieselte herab, ein Lichtstrahl flammte auf. »Warte!«, rief Finn Gildas zu, aber der alte Mann schüttelte nur atemlos den Kopf.
»Ich kann mich nicht länger festhalten.«
»Doch, kannst du.«
Er warf Attia einen verzweifelten Blick zu. Diese legte sich einen Arm von Gildas über die Schultern und versprach: »Ich werde bei ihm bleiben.«
Finn lieà sich beinahe bis zu der Stelle hinunterfallen, an der Keiro hing, packte ihn mit einer Hand und hielt ihn fest, so gut es ihm möglich war. »Es ist sinnlos. Wir werden keinen Ausweg finden.«
»Aber es muss einen geben«, keuchte Keiro. »Wir haben doch den Schlüssel.«
Er zog ihn heraus; Finn griff nach ihm, und einen Moment lang hielten sie beide den Kristall fest, bis Finn ihn schlieÃlich an sich riss. Er hielt ihn ein Stück von sich entfernt, presste auf jeden einzelnen Knopf und drückte dann mit ausgestrecktem Finger auf den Adler, rings um ihn herum und auf seine Krone. Doch nichts tat sich. Das Biest unter ihnen machte peitschende Bewegungen, während Finn den Schlüssel schüttelte und ihn mit wilden Flüchen bedachte. Plötzlich wurde der Kristall in seinen Händen wärmer und dann heiÃ. Ein sonderbarer Heulton ging von ihm aus. Mit einem Aufschrei jonglierte Finn mit ihm, denn er versengte ihm die Haut.
»Benutz den Schlüssel!«, schrie Keiro gellend. »Du musst die Felsen schmelzen.«
Finn presste den Schlüssel gegen die Höhlenwand. Auf der Stelle begann er zu surren und zu klicken.
Incarceron brüllte. Es war ein gequältes Jaulen. Steine polterten herab, Attia schrie. Finn starrte ungläubig auf die Wand, während sich ein groÃer, weiÃer Schlitz auftat, der wie ein Riss in dem Stoff erschien, aus dem die Welt gemacht war.
Â
Der Hüter stand neben Claudia am Fenster und sah hinunter auf die mit Fackeln beleuchteten Lustbarkeiten. »Du hast dich gut geschlagen«, sagte er würdevoll. »Die Königin ist erfreut.«
»Gut.« Claudia war so müde, dass sie kaum denken konnte.
»Morgen wollen wir vielleicht â¦Â« Ihr Vater brach ab.
Ein schrilles, aufdringliches Piepen. Beharrlich und laut. Erschrocken schaute Claudia sich um. »Was ist das?«
Der Hüter stand reglos da. Dann griff er in seine Westentasche, zog seine Uhr heraus und betätigte mit seinem Daumen einen Verschluss, sodass der goldene Deckel aufsprang. Claudia sah das hübsche Ziffernblatt und las daran die Uhrzeit ab. Viertel vor elf.
Aber der Ton war kein Glockenton, sondern ein Alarm.
Der Hüter starrte auf die Uhr. Als er den Blick hob, waren seine Augen kalt und grau. »Ich muss gehen. Gute Nacht, Claudia. Schlaf gut.«
Erstaunt sah sie ihm hinterher, als er zur Tür eilte.
»Hat es ⦠Hat es was mit dem Gefängnis zu tun?«, fragte sie.
Er drehte sich um und warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Wie kommst du darauf?«
»Der Alarm. Diesen Ton habe ich noch nie gehört â¦Â«
Er starrte sie einen Augenblick lang an. Sie verfluchte sich im Stillen. Endlich antwortete ihr Vater: »Ja. Anscheinend hat es ⦠einen Vorfall gegeben. Keine Sorge. Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
Die Türen schlossen sich hinter ihm.
Einen Moment lang stand Claudia wie festgefroren da und starrte auf die Holzpaneele. Dann, als ob die plötzliche Stille sie zum Handeln auffordern würde, griff sie sich ihr dunkles Schultertuch, hüllte sich darin ein, hastete zur Tür und öffnete sie rasch.
Ihr Vater lief mit schnellem Schritt und hatte schon ein gutes Stück im goldenen Korridor zurückgelegt. Kaum war er um die Ecke gebogen, stürmte Claudia ihm hinterher, atemlos und unhörbar auf dem weichen Teppichboden. Ihr Blick huschte über die matten Spiegel.
Ein Vorhang neben einer der groÃen Porzellanvasen bewegte sich noch. Nachdem Claudia hindurchgeschlüpft war, fand sie sich am Kopf einer schummrigen Wendeltreppe wieder. Sie wartete kurz ab, und ihr Herz pochte wild, als sie der dunklen Gestalt nachsah, die hinabstieg. Ihr Vater machte schnelle, aufgeregte Schritte, beinahe rannte er. Claudia verlor keine Zeit, sondern hastete ihm hinterher, Runde um Runde auf der Wendeltreppe, eine Hand auf dem klammen Geländer. Aus den goldenen Wänden wurden Backsteine, dann gewöhnlicher Fels, und bald waren die Stufen abgetreten, klangen
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