Incarceron
hohl und waren von grünen Flechten überwuchert.
Hier unten war es sehr kalt und sehr dunkel. Claudia gefror der Atem vor ihrem Mund zu kleinen, weiÃen Wölkchen. Sie schauderte und schlang sich ihr Tuch fester um die Schultern.
Ihr Vater war auf dem Weg ins Gefängnis.
Er war auf dem Weg zu Incarceron.
Weit vor sich konnte sie noch immer den Alarm hören, der laut und drängend fiepte. Er klang nach nicht enden wollender Panik.
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Dies waren die Weinkeller  â riesige Gewölbekammern, in denen Fässer aufeinandergestapelt worden waren. Leitungen hingen an den Wänden herunter, weià verkrustet vom Salz, das durch das Mauerwerk gedrungen war. Wenn das zum Protokoll gehörte, war es sehr beeindruckend.
Lautlos gelang es Claudia, um einen Stapel Fässer herumzuspähen.
Der Hüter war an einem Tor angekommen.
Es bestand aus grün angelaufener Bronze, war tief in die Wand eingelassen, glitzerte von Schneckenspuren, war durch das Alter angerostet und mit groÃen Nieten besetzt. Verrostete Ketten hingen quer davor. Claudias Herz klopfte plötzlich heftig, als sie den Havaarna-Adler sah, dessen ausgebreitete Flügel beinahe unter dicken Schichten von Grünspan verschwanden.
Ihr Vater schaute sich rasch um, und atemlos zog sie sich zurück in die Schatten. Er tippte eine Zahlenkombination in die Kugel, die der Adler hielt, und Claudia hörte ein Klicken.
Die Ketten lösten sich, rutschten und fielen krachend zu Boden.
Unter einem Sturzregen von Spinnweben, Schnecken und Staub öffnete sich ruckelnd das Tor.
Claudia beugte sich vor; mehr als alles in der Welt wollte sie sehen, was dahinterlag. Sie wollte Incarceron sehen.
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Doch da waren nur die Dunkelheit und ein merkwürdiger Geruch: ein übel riechender, metallischer Gestank. Unvermutet musste sie sich wieder ducken, denn ihr Vater drehte sich noch einmal um.
Als sie erneut einen Blick wagte, war er verschwunden und das Tor wieder geschlossen.
Claudia lehnte sich gegen das nasse Mauergestein und stieà mit einem kaum hörbaren Pfeifton ihren Atem aus.
Nun also doch noch! Endlich.
Sie hatte es gefunden.
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Der schrille Ton des Alarms war bis in ihre Zähne, Nerven und ihre Knochen zu spüren. Finn fürchtete, der Lärm würde bei ihm einen Anfall auslösen. Voller Angst kletterte er deshalb eiligst auf den Spalt zu, obwohl ihm ein eisiger Wind daraus entgegenschlug.
Das Biest verschwand nach und nach. Genau in dem Moment, als Keiro über Finn hinwegkrabbelte und Gildas packte, löste es sich auf. Mit einem Mal stürzten die Fliehenden mitsamt einer Kaskade von Geröll hinab, dann prallten sie gegen die Gefängniswand: eine Menschenkette, deren ganzes Gewicht an Finn hing.
Dieser brüllte vor Schmerzen: »Ich kann euch nicht halten!«
»Verdammt noch mal, das wirst du müssen«, keuchte Keiro.
Entsetzen ergriff Besitz von ihnen. Keiros Hand begann abzurutschen, ein gequältes Zucken.
Finn würde es nicht schaffen. Seine Hand schien zu verbrennen.
Ein Schatten fiel auf ihn. Zuerst glaubte er, es wäre der Kopf des Biestes oder ein groÃer Adler, doch als er genauer hinschaute, sah er etwas durch den Schlitz gleiten, surrend von der groÃen Kraft, von der es angetrieben wurde: ein uraltes, silbernes Schiff, dessen Segel dünn wie Spinnweben waren. Dicke Seile baumelten an den Seiten herab.
Es hielt über ihnen in der Luft, und ganz langsam öffnete sich im Boden eine Luke. Ein Korb wurde bis zu ihnen herabgelassen, der von vier mächtigen Tauen gehalten wurde. Weiter oben schob sich ein Gesicht über die Schiffsreling: die abscheuliche Fratze eines Gargoyles, entstellt von einer Schutzbrille und einer bizarr anmutenden Atemmaske.
»Herein«, schnarrte er, »ehe ich es mir anders überlege.«
Wie sie es letztlich schafften, lieà sich schwer sagen, aber innerhalb von Sekunden war Keiro in den heftig schlingernden Korb geklettert; Gildas schwankte ihm hinterher. Attia machte ebenfalls einen Satz; sie hatte nur einen winzigen Moment gezögert. Als Letzter lieà Finn sich hineinfallen; in seinem Kopf war alles schwarz geworden, so erleichtert war er, und er hatte keine Angst, während er in den Korb stürzte. Er spürte auch nicht, wie er landete, bis die plötzliche Stille Keiros Brüllen dicht an seinem Ohr wich: »Geh sofort von mir runter, Finn!«
Mühsam rappelte er sich auf. Attia
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