Incarceron
beugte sich besorgt über ihn. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»⦠Ja.«
Er wusste zwar, dass dies nicht der Wahrheit entsprach, aber er drängte sich an Attia vorbei zum Rand des übergroÃen Korbs und schaute hinunter. Der eisige Wind brachte alles zum Schwanken, und Finn wurde schwindlig und übel.
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Sie hatten die Höhle verlassen und flogen nun meilenweit über der Stadt und über der sie umgebenden flachen Ebene. Aus dieser Höhe sahen die Häuser wie liegen gebliebenes Spielzeug aus, und Finn und die anderen konnten die Schmauchspuren und die Dampfaustrittsstellen ringsum erkennen, was den Anschein erweckte, als wäre das Land selbst die Haut des Biestes, das darunter grollte und vor Wut giftige Gase ausstieÃ.
Sie glitten durch schwefelgelbe Wolkenschwaden hindurch, die in verschiedenen Farben wie ein Regenbogen glänzten. Finn spürte, wie Gildas sich an seinen Arm klammerte. Die Stimme des alten Mannes schnappte vor Freude beinahe über und wurde vom Wind davongetragen. »Sieh hoch, mein Junge! Sieh doch nur! Es gibt noch immer Sapienti, und zwar mächtige.«
Finn drehte den Kopf und sah, dass sich das Silberschiff
emporschraubte, hinauf zu einem Turm, der so schmal und unvorstellbar hoch aufragte, dass er wie eine Nadel wirkte, die senkrecht auf einer Wolke balancierte und in deren Ãhr ein Licht schimmerte. Finn merkte, wie sein Atem zu Nebel gefror und sich auf der rissigen, zersplitterten Reling niederschlug. Jeder Eiskristall dieser Schicht richtete sich wie von einem Magneten angezogen zum Turm hin aus. Keuchend atmete Finn die dünne Luft ein und griff dann seinerseits nach dem Arm des alten Mannes. Er bebte vor Kälte und Angst und wagte nicht, noch einmal hinabzuschauen. Sein Blick war starr auf die winzige Landefläche gerichtet, die allmählich gröÃer wurde. Sie entpuppte sich als eine träge rotierende Kugel unmittelbar auf der Nadelspitze. Und obwohl sie schon so hoch oben waren, erstreckte sich am eisigen Himmel über ihnen Meile für Meile die Nacht Incarcerons.
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Ein Hämmern weckte Jared, und er merkte, dass er in kalten Angstschweià gebadet war.
Einen Moment lang hatte er keine Ahnung, was das für ein Geräusch war, doch dann hörte er Claudias Flüstern: »Jared, schnell, ich binâs!«
Er richtete sich auf, hastete zur Tür, riss den Scanner herunter und tastete nach dem Riegel. Kaum dass er ihn zurückgeschoben hatte, wurde die Tür aufgestoÃen und schlug ihm beinahe ins Gesicht; dann war Claudia bei ihm im Zimmer, atemlos und staubbedeckt, mit einem verdreckten Schultertuch, das sie sich um ihr Seidenkleid geschlungen hatte.
»Was gibt es denn?«, stieà Jared hervor. »Claudia, hat er es herausgefunden? Weià er, dass wir den Schlüssel haben?«
»Nein, nein.« Sie rang nach Atem, lieà sich aufs Bett fallen, krümmte sich zusammen und presste sich die Hände in die Seiten.
»Was ist denn los?«
Sie hob eine Hand, um ihm zu bedeuten, er möge sich einen Augenblick gedulden. Dann, als sie wieder sprechen konnte und den Blick hob, sah Jared, dass ihr Gesicht vor Triumph glühte.
Er trat einen Schritt zurück und war plötzlich sehr aufmerksam. »Was hast du getan, Claudia?«
Ihr Lächeln war schmerzerfüllt. »Das, wonach ich mich schon seit Jahren sehne. Ich habe die Tür zu seinem Geheimnis entdeckt. Incarcerons Eingang.«
Teil 4
Eine Welt, die im Raum hängt
22
» Wo sind die Anführer?«, fragte Sapphique.
»In ihren Festungen«, erwiderte der Schwan.
»Und die Dichter?«
» Verloren in ihren Träumen von anderen Welten.«
»Und die Handwerker?«
»Schmieden Maschinen, um die Dunkelheit herauszufordern.«
»Und die Weisen, die die Welt geschaffen haben?«
Der Schwan senkte traurig seinen schwarzen Kopf.
»Sie sind nur noch alte Weiber und Zauberer,
die sich in Türmen verstecken.«
SAPPHIQUE, IM KÃNIGREICH DER VÃGEL
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V orsichtig berührte Finn eine der Kugeln.
Im zarten, fliederfarbenen Glas spiegelte sich sein eigenes, grotesk verzerrtes Gesicht. Hinter sich sah er Attia, die durch die Tür trat und sich staunend umsah.
»Wo sind wir hier?« Ungläubig stand sie zwischen den Glaskugeln, die von der Decke hingen, und Finn fiel auf, wie adrett sie an diesem Morgen war. Ihre Haare waren gewaschen, und ihre neue Kleidung lieÃ
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