Incarceron
Dunkelheit weitete sich kreisförmig aus, blieb aber unverändert schwarz. Dann, ganz schwach, sah er den Umriss einer hockenden Gestalt darin. »Wir können nicht sprechen«, flüsterte der Schatten. »Nicht jetzt.«
»Dann hör zu.« Jared sprach gedämpft. »Vielleicht hilft dir das ja: Die Zahlenkombination zwei, vier, drei, eins auf dem Bedienfeld produziert einen Dunstkreis. Alle Ãberwachungssysteme werden unweigerlich deine Spur verlieren. Du verschwindest damit von ihren Scannern. Hast du das verstanden?«
»Ich bin doch nicht blöd.« Keiros verächtliches Flüstern war kaum zu verstehen.
»Hast du Finn gefunden?«
Nichts. Das Gerät war abgeschaltet worden.
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Jared verschränkte die Finger und fluchte leise in der Sprache der Sapienti. DrauÃen vor dem Fenster wurden die Stimmen der Menschen lauter, und einige Geigenspieler in den weit entfernten Gärten fiedelten eine fröhliche Melodie. Es würde heute Tänze geben, um die Braut des Erben willkommen zu heiÃen.
Aber wenn der alte Mann Bartlett recht gehabt hatte, dann war der wahre Thronerbe noch am Leben. Und Claudia war überzeugt, dass dies der Junge Finn war. Jared schüttelte den Kopf und öffnete mit seinen langen Fingern den Kragen seines Umhangs. Claudia wollte unbedingt, dass es tatsächlich so
wäre. Er selbst würde seine Zweifel für sich behalten müssen, denn wenn er ihr diese Hoffnung nähme, gäbe es nichts, woran sie sich noch klammern könnte. Und immerhin bestand ja die Möglichkeit  â wenn auch nur eine vage Möglichkeit  â, dass ihr Instinkt sie nicht trog.
Müde lieà er sich gegen sein steifes Kopfkissen sinken, holte das Medizinsäckchen aus seiner Tasche und bereitete seine tägliche Dosis vor, die auch an diesem Tag, wie schon die ganze letzte Woche lang, 200 Milligramm stärker als früher war. Aber der Schmerz, der sich tief in seinem Körper eingenistet hatte, wuchs langsam und unaufhörlich, als wäre er ein lebendiges Wesen. Jared stellte sich manchmal vor, wie das Biest in ihm die Medikamente verschlang und wie sein Appetit immer gröÃer wurde. Er setzte sich die Spritze und runzelte die Stirn. Das waren morbide und dumme Gedanken.
Aber als er sich hinlegte und einschlief, träumte er einen Augenblick lang, dass sich ein Auge, blutrot wie ferne Galaxien, in der Wand geöffnet hatte und ihn anstarrte.
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Finn war verzweifelt, als er den Ring in die Höhe streckte. »Nimm dies und lass uns gehen.«
Das Auge kam näher und betrachtete ihn eingehend. »Glaubst du etwa, dieser Gegenstand ist von irgendeinem Wert?«
»Er enthält ein Leben, das in ihm eingeschlossen ist.«
»Als ob das eine Rolle spielt, wo doch all eure Leben in mir eingeschlossen sind.«
Finn bebte. Wenn Keiro jetzt hier wäre, würde er ganz sicher einschreiten. Wenn er da wäre .
Finn glaubte, Gildas hätte inzwischen begriffen, was er vorhatte, denn der alte Mann fauchte laut: »Nimm den Ring und lass uns gehen.«
»So, wie ich einen Tribut von Sapphique genommen habe? So,
wie ich dies hier akzeptierte habe?« Die beulige Haut des Biestes öffnete sich ein Stück, und tief eingebettet sahen sie in hellem Licht einen winzigen, zarten Knochen schimmern.
Gildas murmelte ehrfürchtig ein Gebet.
»Wie klein er ist!« Das Biest dachte nach. »Aber wie viel Schmerz er gekostet hat! Lass mich das eingesperrte Leben sehen.«
Ein Tentakel schob sich näher. Finn nahm den Ring in die Faust, und sein Schweià machte ihn rutschig. Dann öffnete er die Hand. Plötzlich blinzelte das Auge. Es wurde gröÃer, zog sich wieder zusammen und starrte wie gebannt umher. Tief aus der Kehle des Biestes stieg ein Flüstern auf wie Ãl; eine verblüffte, faszinierte Frage:
»Wie hast du das gemacht? Wo bist du?«
Eine Hand schloss sich über Finns Mund. Er strampelte und schaffte es, sich herumzudrehen. Dort stand Attia und hatte warnend einen Finger auf ihre Lippen gelegt. Hinter ihrem Rücken entdeckte Finn Keiro, den Schlüssel fest in einer Hand, einen Flammenwerfer in der anderen.
»Du bist unsichtbar!« Das Biest klang ungläubig und erbost. »Das ist nicht möglich.«
Eine Vielzahl von kleineren Tentakeln löste sich jetzt; es waren Schwärme von winzigen Spinnen mit klebrigen Fäden.
Finn wich zurück.
Keiro legte
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