Incarceron
dort Euren Frieden machen. Vergesst die Sterne.«
Seine Stimme war ein Murmeln zwischen den Glaskugeln, das bis hinauf zu den hölzernen Deckensparren geweht wurde. Finn war so unglücklich, dass er Gildasâ wütenden Ausbruch kaum hörte. Er drehte sich zum Fenster um und starrte durch das fest versiegelte Glas hinaus auf die dahineilenden Wolken an Incarcerons Himmel. Sie befanden sich in zu groÃer Höhe für Vögel; vereiste Landschaften erstreckten sich meilenweit unter ihnen, in der Ferne waren Hügel und dunkle Hänge zu erahnen, die vielleicht nichts als Wände auÃerhalb seiner Sichtweite waren.
Seine eigene Furcht ängstigte ihn.
Wenn es wahr wäre, wenn es keine Flucht gäbe von hier oder vor sich selbst â¦
Er war Finn und würde es auch immer bleiben, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft, und es gab nichts, wohin er zurückkehren konnte.
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Gildas und Attia waren zornig; sie stritten, doch Keiros kühle Bemerkung übertönte den Lärm und brachte jeden zum Schweigen: »Warum fragen wir sie nicht einfach?«, schlug er vor. Er hob den Schlüssel auf und berührte die Kontrollfelder. Finns Kopf fuhr herum, und er konnte eben noch mit ansehen, wie geschickt Keiro sich anstellte.
»Das bringt doch nichts«, warf Blaize eilig ein.
»Für uns schon.«
»Dann werde ich mich zurückziehen, damit Ihr mit Euren Freunden sprechen könnt.« Blaize drehte sich um. »Ich habe kein Bedürfnis danach. Fühlt Euch in meinem Turm wie zu Hause. Esst, ruht Euch aus. Denkt über das nach, was ich Euch gesagt habe.«
Zwischen den Glaskugeln hindurch lief er zur Tür und verlieà den Raum; sein Umhang umflatterte seine fleckige Kleidung, und ein schwacher Geruch von Säure und noch etwas anderem, etwas SüÃem, wehte hinter ihm her.
Kaum dass er verschwunden war, fluchte Gildas lange und erbittert. Keiro grinste. »Dann hast du bei den Comitatus also doch etwas Sinnvolles gelernt.«
»Kaum zu glauben, dass ich nach all diesen Jahren endlich einen Sapienten gefunden habe, und dann erweist er sich als so schwach!« Der alte Mann klang, als wäre ihm übel vor Abscheu. Dann streckte er seine Hand aus. »Gib mir den Schlüssel.«
»Das ist unnötig.« Hastig legte Keiro den Kristall auf den Tisch und trat zurück. »Er arbeitet bereits.«
Das vertraute Surren setzte ein; ein Holo-Bild löste sich und wurde zu einem Lichtkreis. Heute schien dieser noch strahlender als zuvor, als ob sie sich irgendwie näher an der Quelle befänden oder als ob das Leistungsvermögen des Schlüssels zugenommen hätte. In diesen Lichtkreis trat Claudia, und sie war ihnen so nah, als würde sie sich tatsächlich unter ihnen befinden. Ihre Augen strahlten, aber ein wachsamer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Finn hatte das Gefühl, seine Hand ausstrecken zu können, um sie zu berühren.
»Die beiden haben dich gefunden«, sagte sie beinahe liebevoll.
»Ja«, flüsterte Finn.
»Ich bin so froh.«
Jared stand neben ihr, einen Arm gegen etwas gelehnt, das wie ein Baum aussah. Und plötzlich erkannte Finn, dass sich die beiden auf einem Feld oder in einem Garten befanden und dass das Licht an diesem Ort einen schimmernden Goldton hatte.
Gildas drängte sich an ihm vorbei. »Meister«, begann er höflich, »seid Ihr ein Sapient?«
»Ja, das bin ich.« Jared stellte sich gerade hin und verbeugte sich dann förmlich. »Genau wie Ihr, wie ich sehe.«
»Schon seit fünfzig Jahren, mein Sohn. Da wart Ihr noch gar nicht geboren. Und nun beantwortet mir drei Fragen und seid unbedingt ehrlich dabei. Stammt Ihr von auÃerhalb von Incarceron?«
Claudia starrte ihn an. Jared nickte langsam. »Ja.«
»Woher wisst Ihr das?«
»Weil dies hier ein Palast und kein Gefängnis ist. Weil über uns die Sonne scheint und nachts die Sterne leuchten. Weil Claudia das Tor entdeckt hat, das in das Gefängnis hineinführt â¦Â«
»Wirklich?«, unterbrach Finn ihn atemlos.
Doch noch ehe Claudia antworten konnte, knurrte Gildas: »Eine letzte Frage. Wenn Ihr auÃerhalb von Incarceron seid, wo ist Sapphique? Was hat er getan, nachdem ihm die Flucht gelungen war? Wann wird er zu uns zurückkehren, um uns zu befreien?«
Im Garten blühten Blumen. Leuchtend roter Mohn war zu sehen.
Jared schaute Claudia an; in der Stille zwischen
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