Incarceron
wohl zusammenstoÃen?«, hatte er Gildas spöttisch gefragt.
»Du bist ein Dummkopf«, hatte Gildas gefaucht. »Halte einfach deine Augen offen!«
Sie waren über Hügel aus Kupfer und Gebirge aus Glas geflogen, über ganze Wälder voller Metallbäume. Finn hatte Siedlungen in abgelegenen, kaum zugänglichen Tälern gesehen, in denen die Bewohner völlig isoliert lebten. Auch groÃe Städte hatte er gesehen, einmal sogar eine Burg, von deren Türmen Fahnen wehten. Das hatte ihm Angst gemacht, denn er hatte an Claudia denken müssen. Sie waren durch Sprühnebel in Regenbogenfarben geflogen und durch seltsame, atmosphärische Besonderheiten: eine gespiegelte Insel, Hitzefelder und flackernde Streifen von lilafarbenem und goldenem Feuer. Vor einer Stunde hatte urplötzlich ein Schwarm langschwänziger Vögel laut kreischend das Schiff umkreist und war dann im Sturzflug auf das Deck niedergeschossen, sodass sich Keiro erschrocken ducken musste. Dann war der Schwarm ebenso unvermittelt wieder abgezogen und schon bald nur noch als schwach erkennbarer Fleck am Horizont zu ahnen gewesen. Einmal war das Schiff sehr niedrig geflogen; Finn hatte sich über die Reling gebeugt und gesehen, dass unter ihnen meilenweit nichts als stinkende Hütten und Menschen zu sehen waren, die aus wahllos und notdürftig errichteten Elendsunterkünften quollen; die Erwachsenen hatten krank und verkrüppelt ausgesehen, ihre Kinder apathisch. Finn war froh gewesen, als der Wind dem Schiff wieder neuen Auftrieb gegeben hatte.
Incarceron war eine Hölle.
Doch er besaà den Schlüssel.
Er holte ihn heraus und berührte die Kontrollfelder, wie er es schon zuvor versucht hatte, aber bei den letzten Gelegenheiten war nichts geschehen. Genau wie jetzt. Langsam begann er sich zu fragen, ob der Kristall überhaupt je wieder arbeiten würde. Immerhin war er warm. Bedeutete das, dass sie in die richtige Richtung, auf Claudia zu, reisten? Doch wenn Incarceron so unendlich groà war, wie viele Leben würde er brauchen, um bis zum Ausgang vorzudringen?
»Finn!«
Keiros Schrei klang durchdringend. Er hob seinen Kopf.
Irgendetwas vor ihnen flackerte. Zuerst glaubte Finn, es wären die Gefängnislichter, doch dann fiel ihm auf, dass das Zwielicht nicht die gewöhnliche Dämmerung des Gefängnisses war, sondern eine dunkle Bank von Sturmwolken, die sich direkt vor ihnen auftürmten. Eilends kletterte er hinunter und riss sich dabei an den Tauen die Handflächen auf.
Keiro war gerade dabei, mit fliegenden Fingern das Seil am Steuerrad zu lösen.
»Was ist das?«
»Schlechtes Wetter.«
Schwärze. Darin leuchteten Blitze auf. Und als sie näher glitten, hörten sie ein tiefes Grollen wie ein belustigtes, dunkles Kichern.
»Das Gefängnis«, flüsterte Finn. »Es hat uns gefunden.«
»Hol Gildas«, murmelte Keiro.
Der Sapient saà unter Deck und brütete im Schein der knisternden Lampe über verschiedenen Landkarten. »Sieh dir das an.« Der alte Mann blickte auf, und das Licht malte tiefe Schatten auf sein Gesicht. »Wie kann Incarceron nur so riesig sein? Wie soll es bloà möglich sein, Sapphique überallhin zu folgen?«
Entsetzt und ungläubig starrte Finn auf die Papierhaufen, die
zum Teil schon vom Tisch gerutscht waren und den ganzen Boden bedeckten. Wenn dies die AusmaÃe von Incarceron waren, dann würde ihre Reise niemals ein Ende finden. »Wir brauchen dich. Vor uns hat sich ein Sturm zusammengebraut.«
Attia platzte herein. »Keiro sagt, ihr müsst euch beeilen.«
Wie als Antwort schlingerte das Schiff. Finn hielt den Tisch fest, während die Landkarten sich zusammenrollten und reihenweise zu Boden glitten; erst dann machte er sich auf den Weg zurück an Deck.
Schwarze Wolken türmten sich über den Masten auf, die silbernen Wimpel flatterten und wurden vom Wind gepeitscht. Das Schiff lag beinahe auf der Seite; Finn musste sich an der Reling festklammern und gelangte nur zum Steuerrad, indem er auf allen vieren kroch und unterwegs an allem, was sich ihm bot, Halt suchte.
Keiro schwitzte und fluchte. »Das ist das Zauberwerk eines Sapienten!«, brüllte er aus vollem Halse.
»Das glaube ich nicht. Ich denke, es ist Incarceron.«
Wieder grollte ein Donner. Der Sturm traf mit einem tosenden Laut auf sie auf; gemeinsam krallten sich Finn und Keiro am Steuerrad
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