Incarceron
sehr.«
»Ja.« Evian warf ihr einen wissenden Blick zu. »Ich verstehe.«
Er wirkte unsicher. Dann, als hätte er eine Entscheidung gefällt, sagte er: »Da war tatsächlich etwas an seinem Tod, das seltsam war.«
»Ich wusste es. Ich habe zu Jared gesagt â¦Â«
»Der Sapient weià von alldem?« Er wirkte alarmiert. »Er weià von mir?«
»Ich würde Jared mein Leben anvertrauen.«
»Diese Leute sind die gefährlichsten.« Evian wandte sich zum Haus. Eine der Enten watschelte gemächlich auf ihn zu; er vertrieb sie mit ausladenden Gesten, und sie drehte quakend ab. »Man weià nie, wann man belauscht wird«, sagte er leise und starrte der Ente hinterher. »Das ist es, was die Havaarna-Könige uns angetan haben, Claudia. Sie haben uns ständige Angst eingepflanzt.«
Einen kurzen Augenblick lang wirkte er beinahe erschüttert; dann strich er sich eine unsichtbare Falte aus seinem Seidenanzug und sagte mit veränderter Stimme: »Prinz Giles ritt an diesem Morgen ohne seine üblichen Begleiter aus. Es war ein schöner Frühlingsmorgen; es ging ihm gut, und er war vollkommen gesund. Ein lachender Bursche von fünfzehn Jahren. Zwei Stunden später kam ein Bote an den Hof gesprengt, das Pferd weià vom SchweiÃ. Der Reiter sprang ab, rannte in die Halle und die Treppe hinauf, dann warf er sich der Königin zu FüÃen. Ich war dort, Claudia. Ich sah ihr Gesicht, als man ihr von dem Unfall berichtete. Sie ist ohnehin eine blasse Frau, wie jeder am Hof, aber in diesem Augenblick wich alles Blut aus ihrem Gesicht. Wenn es tatsächlich nur vorgespielt war, dann war es meisterhaft. Man brachte den Jungen auf einem eilends angefertigten Gestell aus Ãsten zurück. Die Träger hatten ihre Mäntel über sein Gesicht gebreitet. Erwachsene Männer weinten.«
Ungeduldig drängte ihn Claudia: »Fahrt fort.«
»Sie bahrten ihn in seiner Prachtkleidung auf: in einer weiten,
goldenen Robe und einer Tunika aus weiÃer Seide, die mit dem gekrönten Adler bestickt war. Tausende zogen an ihm vorbei. Frauen schluchzten, und Kinder kamen mit Blumen. Wie wunderschön er aussah, sagten sie. Wie jung.«
Er blickte zum Haus.
»Aber irgendetwas war seltsam. Da war ein Mann. Sein Name war Bartlett. Er hatte von den frühesten Tagen an auf den Jungen aufgepasst. Doch zum Zeitpunkt des Unfalls war er bereits im Ruhestand und gebrechlich. Sie gestatteten ihm eines späten Nachmittags, als alle anderen Leute gegangen waren, Abschied von seinem ehemaligen Schützling zu nehmen. Man führte ihn durch den Säulengang und die Schatten der Staatskammer, und er erklomm mühsam die Stufen. Dann sah er zu Giles hinab. Man erwartete, dass er weinen würde und vor Trauer jammern und wehklagen. Man glaubte, er würde vor Schmerz seine Kleidung zerreiÃen. Doch das tat er nicht.«
Evian schaute auf, und Claudia sah das kluge Aufblitzen in seinen Augen: »Er lachte, Claudia. Der alte Mann lachte .«
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Nachdem sie zwei Stunden durch den Metallwald gewandert waren, setzte der Schneefall ein.
Finn stolperte über eine Wurzel aus Kupfer und wurde aus seinem Tagtraum gerissen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es schon eine ganze Weile lang schneien musste, denn die Blätter auf dem Boden waren bereits von einer dünnen Schicht bedeckt. Er drehte den Kopf, und sein Atem gefror vor seinem Mund zu kleinen Wölkchen.
Gildas hatte sich etwas zurückfallen lassen und unterhielt sich mit dem Mädchen. Aber wo steckte Keiro?
Finn wirbelte herum. Den ganzen Morgen schon hatte er den Gedanken an die Stimme nicht aus seinem Kopf bekommen, an die Stimme von auÃerhalb , wo es Sterne gab. Claudia. Wie hatte
sie mit ihm sprechen können? Er spürte den sperrigen, kalten Schlüssel unter seinem Hemd, und das störende Drücken tröstete ihn. »Wo ist Keiro?«, fragte er.
Gildas blieb stehen. Er rammte seinen Stab in den Boden und lehnte sich dagegen. »Er ist schon mal vorgegangen, um die Gegend zu sondieren. Hast du nicht gehört, wie er dir deswegen Bescheid gesagt hat?« Nach einem prüfenden Blick war er mit einem Satz an Finns Seite und starrte ihn an; seine blauen Augen saÃen so klar wie Kristalle in seinem kleinen, faltigen Gesicht. »Geht es dir gut? Spürst du eine Vision kommen, Finn?«
»Mir geht es gut. Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.« Finn
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