Incarceron
sah, dass an den Wänden des Hohlraumes Pilze gesprossen waren. Es waren missgebildete, sporenbedeckte, wabbelige Gewächse.
»Das ist eine Höhle«, stellte Keiro mürrisch fest. Er zog seine Knie an, wischte mit den Händen Dreck von seinem Mantel und sah Finn an. »Ist der Schlüssel in Sicherheit, Bruder?«
»Natürlich«, murmelte Finn.
Keiros Augen hatten einen harten Ausdruck. »Nun, dann zeig ihn mir.«
Mit auffallendem Zögern schob Finn die Hand unter sein Hemd. Er zog den Schlüssel heraus, und alle sahen, wie der Kristall im Dämmerlicht leuchtete. Kühl war er, und zu Finns Erleichterung kamen keine Stimmen aus ihm heraus.
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Attias Augen wurden groÃ.
»Sapphiques Schlüssel!«
Gildas wandte sich ihr zu. »Was hast du gesagt?«
Aber sie sah nicht den Kristall an. Sie starrte auf das Bild, das sorgfältig in die Höhlenwand gekratzt worden war. Im Laufe der Jahrhunderte war es vom Staub dunkler geworden, und grüne Flechten hatten es überwuchert. Zu erkennen war aber noch immer das Abbild eines groÃen, schlanken, dunkelhaarigen Mannes, der auf einem Thron saÃ, seine Hände in die Höhe reckte und darin ein sechseckiges, mit Dunkelheit erfülltes Schlüsselloch hielt.
Gildas nahm von Finn den Schlüssel entgegen. Er schob ihn in die Ãffnung. Sofort begann sie zu glühen; Licht und Hitze gingen davon aus, zeigten Finn die dreckigen, zerschnittenen
Gesichter der anderen und leuchteten noch den letzten Winkel der Höhle aus.
Keiro nickte. »Jetzt scheinen wir auf dem richtigen Weg zu sein«, murmelte er.
Finn antwortete nicht. Er beobachtete den Sapienten. Auf dem Gesicht des alten Mannes strahlten Ehrfurcht und Freude.
Und Besessenheit.
Als Finn diesen Ausdruck sah, lief es ihm eisig den Rücken hinunter, und er spürte die Kälte bis auf die Knochen.
14
Wir verbieten Wachstum und somit den Verfall. Ehrgeiz und
somit die Verzweiflung. Denn das eine ist nur das verzerrte
Spiegelbild des anderen. Vor allem aber ist die Zeit verboten.
Von nun an wird nichts mehr sich wandeln.
DAS DEKRET VON KÃNIG ENDOR
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I ch glaube kaum, dass Ihr all diesen Schund brauchen werdet.« Caspar nahm ein Buch vom Stapel und schlug es auf. Gelangweilt starrte er auf die in leuchtenden Farben ausgestalteten Buchstaben. »Wir haben mehr als genug Bücher im Palast. Ich nehme nie eines davon in die Hand.«
»Was für eine Ãberraschung.« Claudia saà auf ihrem Bett und lieà einen hoffnungslosen Blick über das Chaos wandern. Konnte es wirklich wahr sein, dass sie so viel besaà und ihr nur noch so wenig Zeit zum Packen blieb?
»Und die Sapienti haben Tausende von Exemplaren.« Er warf das Buch beiseite. »Ihr könnt Euch so glücklich schätzen, Claudia, dass Ihr niemals die Akademie besuchen musstet. Ich dachte, ich würde vor Langeweile sterben. Aber wie dem auch sei  â wollen wir nicht ausreiten und die Falken mitnehmen? Die Dienstboten können sich doch um das Durcheinander hier kümmern.«
»Ja.« Claudia kaute auf ihren Nägeln, bis es ihr auffiel und sie die Hand vom Mund nahm.
»Versucht Ihr, mich abzuwimmeln, Claudia?«
Sie sah auf. Er beobachtete sie; seine kleinen Augen starrten sie ungerührt an. »Ich weiÃ, dass Ihr mich nicht heiraten wollt«, fügte er hinzu.
»Caspar â¦Â«
»Das ist schon in Ordnung. Es macht mir nichts aus. So ist das eben, wenn man zum Königshaus gehört. Meine Mutter hat mir die Sache erklärt. Ihr könnt Euch so viele Liebhaber nehmen, wie Ihr wollt, wenn wir erst mal einen Erben haben. Ich werde mir jedenfalls andere Gespielinnen suchen.«
Claudia blickte ihn ungläubig an. Sie konnte nicht länger still dasitzen, sondern sprang auf und lief in dem unordentlichen Zimmer auf und ab. »Caspar, hört Euch doch nur selber zu! Habt Ihr Euch je vorgestellt, was das für ein Leben sein wird, das wir beide führen werden, in diesem Marmor-Mausoleum, das Ihr Palast nennt? Wir werden mit Lügen und Täuschungen leben und jeden Tag ein falsches Lächeln auf dem Gesicht tragen, Kleidung aus einer Zeit anziehen, die es nie gegeben hat, posieren, uns herausputzen und Umgangsformen an den Tag legen, die man eigentlich nur aus Büchern kennen sollte. Habt Ihr je darüber nachgedacht?«
Er war überrascht. »So war es doch schon immer.«
Sie nahm wieder
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