Incarceron
war angewidert von dem Eifer in der Stimme des Sapienten. Als sein Blick auf das Mädchen fiel, sagte er zu ihr: »Wir müssen dich von dieser Kette befreien.«
Attia hatte sich das Ende um den Hals gewickelt, damit es nicht die ganze Zeit hin und her schwang. Finn konnte die aufgescheuerte Haut erkennen, obwohl Attia versucht hatte, Stoffstreifen unter das Metall zu schieben. Leise sagte sie: »Es geht schon. Aber wo sind wir?«
Finn sah meilenweit nichts als Wald. Wind war aufgekommen, und die Metallblätter raschelten und klimperten. Weit unten war der Wald unter Schneewolken verschwunden, und hoch oben unter dem Dach des Gefängnisses drängten sie sich ebenfalls, sodass das Licht schwach und gedämpft war.
»Sapphique hat diesen Weg genommen.« Gildas klang angespannt vor Aufregung. »In diesem Wald hat er seine ersten Zweifel niedergekämpft und auch die dunkle Resignation, die ihm sagte, dass es von hier aus nicht mehr weitergehen würde. Hier hat er mit dem Aufstieg begonnen, der ihn nach drauÃen führen sollte.«
»Aber der Weg ist abschüssig«, bemerkte Attia leise.
Finn sah sie an. Unter dem Schmutz und den gestutzten Haaren
strahlte ihr Gesicht seltsame Freude aus. »Warst du früher schon einmal hier?«, fragte er.
»Nein. Ich stamme aus einer kleinen Gruppe der Civitates. Wir haben den Flügel nie verlassen. Dies hier ist ⦠so wundervoll.«
In Finn erwachte die Erinnerung an die Maestra, und eisige Schuldgefühle griffen nach ihm. Doch Gildas drängte sich an ihm vorbei und lief weiter. »Es hat den Anschein, dass der Weg nach unten führt, aber wenn die Theorie stimmt, dass Incarceron unterirdisch angelegt ist, dann müssen wir am Ende irgendwo emporklettern. Vielleicht hinter diesem Wald.«
Entsetzt lieà Finn den Blick über die bewaldeten Weiten wandern. Incarceron erweckte den Anschein, endlos zu sein. Solche Ausdehnungen hätte er sich niemals träumen lassen.
Plötzlich fragte das Mädchen: »Was ist das für ein Rauch?«
Sie folgten Attias ausgestrecktem Finger. Weit weg im Nebel stieg eine dünne Rauchsäule auf und verlor sich in der Höhe. Es sah aus wie der Qualm von einem Feuer, dachte Finn.
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»Finn! Hilf mir mal!«
Alle drehten sich um. Keiro zerrte etwas aus dem Kupfer- und Stahldickicht. Als sie zu ihm gerannt waren, stellte Finn fest, dass es sich dabei um ein kleines Schaf handelte, dessen rechtes Hinterbein irgendwann nur notdürftig repariert worden war, sodass auch jetzt noch die Schaltkreise zu sehen waren.
»Dann bist du also immer noch ein Dieb«, sagte Gildas mit eisiger Stimme.
»Du kennst doch die Regeln der Comitatus.« Keiro klang gut gelaunt. »Alles gehört dem Gefängnis, und das Gefängnis ist unser Feind.«
Er hatte dem Tier bereits die Kehle aufgeschlitzt.
»Wir können es gleich hier schlachten. Nun ja, sie kann das tun. Sie sollte sich mal nützlich machen.«
Keiner rührte sich. Gildas entgegnete: »Das war dumm. Wir haben keine Ahnung, welche Gefangenen hier leben. Und wir können auch ihre Stärke nicht einschätzen.«
»Wir müssen doch etwas essen!« Keiro war jetzt zornig, und sein Gesicht verdüsterte sich. Er warf das Schaf auf den Boden. »Aber wenn ihr nicht wollt, auch gut.«
Ein unbehagliches Schweigen folgte. Dann fragte Attia leise: »Finn?«
Er begriff, dass sie es tun würde, wenn er sie darum bäte. Diese Art von Macht wollte er nicht haben. Aber Keiro blickte so finster, dass er sagte. »In Ordnung. Ich helfe dir dabei.«
Seite an Seite knieten sie sich hin und weideten das Schaf aus. Attia borgte sich Gildasâ Messer und arbeitete zügig; Finn schloss daraus, dass sie das schon häufig getan hatte. Wenn er sich linkisch anstellte, schob sie ihn beiseite und schnitt das Fleisch selbst heraus. Sie bedienten sich nur sparsam, denn sie hatten keine Möglichkeit, viel zu tragen, und sie hatten auch noch kein Holz gefunden, um die herausgetrennten Stücke zu braten. Nur die Hälfte des Tieres war organisch; der Rest war ein Sammelsurium aus verschiedenen Metallen, die erfindungsreich zusammengeflickt worden waren. Gildas kratzte mit seinem Stab über die Ãberreste. »Heutzutage lassen die Tiere, die das Gefängnis hervorbringt, einiges zu wünschen übrig.«
Er klang ernst. Keiro fragte. »Was meinst du, alter Mann?«
»Das,
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