Incarceron
neben ihm Platz. »Wolltet Ihr denn noch nie frei sein, Caspar? An einem Frühlingsmorgen ausreiten und aufbrechen, um Euch die Welt anzuschauen? Abenteuer suchen und jemanden, den Ihr lieben könnt?«
Das war zu viel. Sie wusste es, kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte. Caspar war überfordert. Sie spürte, wie er sich versteifte, und bemerkte, dass er die Stirn in Falten legte und sie mit Blicken fixierte. »Ich weiÃ, worum es hier in Wahrheit geht.« Seine Stimme klang heiser. »Euch wäre es lieber gewesen, wenn Ihr meinen Bruder bekommen hättet. Den göttlichen
Giles. Nun, er ist tot, Claudia, also vergesst ihn.« Dann lächelte er wieder, tückisch und schmallippig. »Oder geht es in Wahrheit um Jared?«
»Jared?«
»Nun, es ist doch wohl offensichtlich, nicht wahr? Er ist zwar schon älter, aber manchen Mädchen gefällt das ja.«
Claudia hätte ihm gerne eine Ohrfeige gegeben. Mehr als alles in der Welt wollte sie einfach aufstehen und ihm in sein feixendes Gesicht schlagen. Er grinste sie an. »Ich habe gesehen, wie Ihr ihn anschaut, Claudia. Aber wie gesagt: Das macht mir nichts aus.«
Claudia erhob sich, steif vor Zorn. »Ihr seid eine boshafte, kleine Kröte.«
»Und Ihr seid zornig. Das beweist, dass ich recht habe. Weià Euer Vater von Euch und Jared, Claudia? Was meint Ihr: Sollte ich ihm davon erzählen?«
Er war wie Gift, wie eine Echse mit zuckender Zunge. Sein belustigter Gesichtsausdruck war Säure. Claudia beugte sich vor und brachte ihr Gesicht unvermittelt ganz nah an seines. Er schreckte zurück.
»Wenn Ihr so etwas noch einmal mir oder irgendjemandem sonst gegenüber erwähnt, bringe ich Euch um. Habt Ihr mich verstanden, werter Lord Steen? Ich höchstpersönlich werde Euch einen Dolch in Euren schlaffen, kleinen Körper rammen. Ich werde Euch töten, so wie man Giles getötet hat .«
Bebend vor Wut marschierte sie hinaus und warf die Tür mit einem solchen Knall ins Schloss, dass es durch den ganzen Flur hallte. Fax, Lord Steens Leibwächter, stand wartend vor ihrem Zimmer. Als sie an ihm vorbeilief, blieb er in seiner überheblichen, reglosen Haltung stehen, und als sie an den Porträts hinab zur Treppe stürmte, spürte sie seine Blicke in ihrem Rücken ebenso wie sein kaltes Lächeln.
Sie hasste die beiden.
Sie hasste sie alle.
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Wie konnte er so etwas sagen ?
Wie konnte er so etwas überhaupt nur denken! Claudia hastete wutentbrannt die Treppe hinunter und stürmte durch die Flügeltüren, sodass die Dienstmädchen ihr eilends aus dem Weg sprangen. Ihre Laune glich einem Unwetter. So eine dreckige Lüge! Ãber Jared! Jared, dem so etwas nicht einmal im Traum einfallen würde!
Lauthals rief sie nach Alys, die sofort herbeigerannt kam. »Stimmt etwas nicht, Claudia?«
»Meinen Reitumhang. Sofort.«
Ihr Ãrger lieà nicht nach, während sie warten musste, weshalb sie ruhelos auf und ab lief und durch die geöffnete Vordertür auf die ewig vollkommenen Wiesen blickte, auf den blauen Himmel und die Pfaue, deren schauerliche Schreie allgegenwärtig waren.
Beinahe fand sie Trost in ihrer brennenden Wut. Als ihr der Umhang gebracht wurde, warf sie ihn sich über die Schultern und fauchte: »Ich reite aus.«
»Claudia ⦠Es ist noch so viel zu tun. Wir brechen doch morgen schon auf.«
»Dann erledige du alles Nötige.«
»Das Hochzeitskleid ⦠Die letzte Anprobe â¦Â«
»Meinetwegen kannst du es in Fetzen reiÃen.« Mit diesen Worten verschwand sie, rannte die Treppe hinunter und quer über den Hof. Als sie den Blick hob, entdeckte sie ihren Vater, der an einem der Fenster seines Arbeitszimmers stand, das es eigentlich gar nicht gab.
Er hatte ihr den Rücken zugewandt und sprach mit jemandem.
Da war jemand bei ihm im Arbeitszimmer?
Aber niemand ging jemals dort hinein.
Verwirrt verlangsamte sie ihre Schritte. Dann bekam sie es plötzlich mit der Angst zu tun. Sie fürchtete, er könnte sich umdrehen, und so eilte sie zu den Ställen, wo sie Marcus fertig gesattelt vorfand. Er scharrte ungeduldig mit einem seiner Vorderhufe. Auch Jareds Pferd stand bereit: ein schlankes, hochgewachsenes Tier namens TamLin, was vermutlich ein geheimer Scherz der Sapienti war, den sie nicht verstand.
Sie sah sich um. »Wo ist der Weise?«, fragte sie Job.
Der Stallbursche
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