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Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
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nahm das Licht zu, oder es waren Finns Augen, die sich angepasst hatten. Nach und nach konnte er etwas erkennen: Da saßen drei Schatten vor ihm, in schwarze Umhänge gehüllt, die ihre gesamten Körper verbargen, und jeder trug einen seltsamen, schwarzen Kopfschmuck, den er sofort als Perücke erkannte. Perücken aus rabenschwarzem, glattem Haar. Der Effekt war geradezu grotesk, denn die Sprecherinnen selbst waren uralt. Er hatte noch nie Frauen gesehen, die so alt waren.
    Ihre Häute waren ledrig und voller Falten, ihre Augen milchig weiß. Sie alle hatten die Köpfe gesenkt. Als Finn unruhig mit dem Fuß scharrte, sah er, dass sich ihre Gesichter dem Geräusch zuwandten, und da begriff er, dass sie blind waren.
    Â»Bitte … «, murmelte er.
    Â»Es gibt keine Anhörung. Dies ist die Urteilsverkündung.«
    Rasch schossen Finns Blicke zu Gildas. Der Sapient starrte auf einige Gegenstände, die zu Füßen der Frauen ruhten. Auf einer Stufe vor der ersten lag eine einfache, hölzerne Spindel, von der ein Faden ausging, ein feiner, zarter, silbriger Faden. Er schlang sich um die Füße der zweiten Frau, als ob diese sich niemals von dem Stuhl, auf dem sie saß, erheben würde. Halb verborgen im Gewirr der Fäden war ein Zollstock zu erkennen.
Der Faden, inzwischen schmutzig und ausgefranst, lief unter dem Stuhl der dritten entlang bis zu einer Stelle, an der eine scharfe Schere lag.
    Gildas sah erschüttert aus. »Ich habe von Euch gehört«, flüsterte er.
    Â»Dann werdet Ihr wissen, dass wir Die drei ohne Gnade sind, Die Unerbittlichen . Unser Urteilsvermögen ist blind und bewertet nur die Tatsachen. Ihr habt diese Männer bestohlen, dafür gibt es Beweise.« Das alte Weib in der Mitte legte den Kopf schräg. »Stimmt ihr mir zu, Schwestern?«
    Rechts und links von ihr flüsterten Stimmen, die nicht voneinander zu unterscheiden waren: »Wir stimmen zu.«
    Â»Dann wird die Strafe für Diebe vollzogen werden.«
    Die Männer traten vor, griffen Gildas und zwangen ihn auf die Knie. Im schummrigen Licht sah Finn die Umrisse eines Holzblockes; die Arme des alten Mannes wurden nach vorne gerissen und an den Handgelenken über den Block gelegt. »Nein!«, keuchte Gildas. »Hört mich an …«
    Â»Wir waren es nicht!« Finn strampelte. »Das ist nicht gerecht.«
    Die drei Frauen, deren Gesichter sich bis ins Letzte glichen, schienen nicht nur blind, sondern auch taub zu sein. Die in der Mitte hob einen knochigen Finger; eine Messerklinge blitzte im Dämmerlicht auf.
    Â»Ich bin ein Sapient der Akademie.« Gildas’ Stimme war rau und beinahe erstickt vor Angst. Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn. »Man darf mich nicht wie einen gewöhnlichen Dieb behandeln. Ihr habt kein Recht …«
    Er wurde mit eisernem Griff festgehalten. Ein Mann stand in seinem Rücken, ein anderer umklammerte seine gefesselten Handgelenke. Das Messer wurde in die Luft gehoben.
    Â»Halt den Mund, alter Narr«, murmelte einer von ihnen.
    Â»Wir können bezahlen. Wir haben Geld. Ich kann Krankheiten
heilen. Der Junge … Der Junge ist ein Seher. Er spricht mit Sapphique. Er hat die Sterne gesehen .«
    Es hatte wie ein verzweifelter Schrei geklungen. Der Mann mit dem Messer hielt inne; sein Blick schnellte zu den Weibern.
    Wie im Chor wiederholten sie: »Die Sterne?« Die Worte waren ein Murmeln, ein verwundertes, ungläubiges Flüstern. Gildas holte bebend Atem und witterte seine Chance. »Die Sterne, Ihr weisen Frauen. Die Lichter, von denen Sapphique spricht. Fragt ihn. Er ist ein Zellgeborener, ein Sohn Incarcerons.«
    Alle schwiegen nun. Die blinden Gesichter der Frauen wandten sich Finn zu; die mittlere der Alten streckte auffordernd eine Hand aus, und die Kranich-Männer versetzten Finn einen Stoß. Er stolperte nach vorne, sodass die Richterin in der Mitte seinen Arm zu fassen bekam. Finn hielt ganz still. Die Hände der Greisin waren knochig und trocken, die Nägel lang und brüchig. Sie tastete seine Arme ab, befingerte seine Brust und ließ ihre Fingerspitzen dann über sein Gesicht wandern. Er wollte sich losreißen oder sie abschütteln, doch er hielt still und ertrug die kühlen, rauen Gliedmaßen auf seiner Stirn und seinen Augenlidern.
    Die anderen Frauen hatten sich ihr zugewandt, als ob eine für alle fühlte. Dann presste die

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