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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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rannte so schnell er konnte, rutschte im feuchten Lehm aus, fing sich aber wieder und lief weiter. Sein Puls raste, in seinen Schläfen pochte das Blut. Dennoch war er plötzlich sicher, hinter sich Schritte und ein unheimliches Keuchen zu hören. Beides wurde rasch lauter.
    Es hat mich entdeckt!, durchzuckte es John. Es verfolgt mich und holt auf!
    Er beschleunigte seinen Spurt, wich einer aus der Erde ragenden Wurzel aus, umrundete den mächtigen Stamm eines Urwaldriesen – und erstarrte. Vor ihm hingen zwei Männer wie Schlachtlämmer von den Ästen herab, die Beine an einen hohen Ast gefesselt, die Köpfe nach unten: Felipe Fuentes und Jorge La Roqua. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten ins Leere. In ihren Kehlen klafften grässliche Wunden, aus denen das Blut in Rinnsalen strömte, bevor es zu Boden tropfte und eine große rote Lache unter den Leichen bildete. Der Anblick schockierte John bis ins Mark. Weshalb hatte der Uracai die beiden Männer so zugerichtet? Wie hatte er sie überhaupt so schnell hierherbringen können? Als modernem Menschen widerstrebte John die Vorstellung, es mit einem übernatürlichen Wesen zu tun zu haben. Gleichzeitig hielt er mittlerweile nichts mehr für ausgeschlossen. Dieser Wald barg Geheimnisse, die sich der menschlichen Logik entzogen. Er schauderte. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er diesen Tag nicht überleben würde.
    Wieder stieg ihm beißender Schwefelgeruch in die Nase, noch intensiver als zuvor. Der Vorbote des Todes. Instinktiv wusste John, dass das Biest sich lautlos an ihn herangeschlichen haben musste und nun genau hinter ihm stand. Auch die dunkle Aura des Wesens war jetzt deutlich zu spüren. Unwillkürlich bekam John eine Gänsehaut. Er verharrte regungslos, unfähig, auch nur einen Meter weiterzurennen. Sein Herz pochte wie ein Vorschlaghammer in seiner Brust. Er spürte, dass er drauf und dran war, die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren.
    Dann war es plötzlich, als würde eine fremde Macht von ihm Besitz ergreifen und ihm zum letzten Mal im Leben die Kraft geben, sich zu bewegen. Langsam, wie in Zeitlupe, drehte er sich um. Was er sah, ging über alle Vorstellung hinaus. Die letzte Hoffnung, es nicht mit einem Dämon zu tun zu haben, sondern mit irgendeiner Art Raubtier, gegen das irdische Kräfte etwas ausrichten konnten, zerschellte wie eine Welle an einer Klippenwand. Die Kreatur überragte John um mindestens einen Meter. Sie stand aufrecht auf zwei Beinen, abgesehen davon war an ihr jedoch nichts Menschliches. Ihr Körper war von dünnem, glänzend-schwarzem Fell überzogen, aus dem an manchen Stellen blutrote, pulsierende Adern hervortraten. Aus ihrem Schädel wuchsen geschwungene Stierhörner, die sie noch Ehrfurcht gebietender erscheinen ließ, als sie ohnehin schon war. Ihre Bernsteinaugen leuchteten von innen heraus, hinter den senkrecht geschlitzten Pupillen schien sich die Bosheit der gesamten Welt zu konzentrieren. Die Worte des Dominikanermönchs Gaspar de Carvajal schossen John durch den Kopf: Dieses Biest ist der Antichrist. Jedenfalls schien es geradewegs der Hölle zu entstammen. Und es war hier, um John genau dorthin zu befördern.
    Er zitterte am ganzen Leib, als der Uracai ihm seine mit Klauen versehenen Pranken auf die Schultern legte. »Bitte nicht!«, flehte John, doch der Fleisch gewordene Satan ließ sich davon nicht beeindrucken. Mit genießerischer Langsamkeit öffnete er sein Maul, um ein makellos weißes Gebiss mit zwei sichelförmigen Reißzähnen zu entblößen. Johns Herz raste, seine Knie schlotterten, und er spürte, wie ihm das Adrenalin durch die Adern jagte. Ihm war gleichzeitig heiß und kalt. Schweiß stand ihm in dicken Tropfen auf der Stirn. Der Atem des Teufels brannte wie Lava auf seiner Haut, als die Reißzähne seinen Hals berührten. Nie zuvor hatte John solche Angst gehabt wie in diesem Moment.
    »Bist du bereit, deinem Schöpfer gegenüberzutreten?«, fragte der Dämon mit Grabesstimme. John hörte es kaum mehr, denn in diesem Moment verlor er das Bewusstsein.

Kapitel 17
    Dunkelheit umfing John wie ein schwarzes Tuch. Er war verloren im Nichts, gefangen in der tiefsten Finsternis der Hölle. Aber irgendein entfernter Teil seines Verstandes flüsterte ihm zu, dass er lebte, und das erfüllte ihn mit tiefer Dankbarkeit. Noch immer hämmerte sein Herz wie wild in seiner Brust, sein Blut jagte ihm durch die Adern, und sein Puls rauschte dröhnend in seinen Ohren. Er versuchte, seinen Atem wieder unter

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