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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Tritt zu beschweren, doch dieser bedeutete ihm mit einem Finger vor den Lippen, still zu sein und aufzustehen. Fuentes begriff, dass etwas nicht stimmte und folgte der Aufforderung.
    »Seht Ihr? Dort drüben!«, flüsterte John und deutete auf die noch nachschwingenden Farnwedel.
    »Vielleicht ist das Colvedo, der die Nachtwache hatte und pinkeln muss«, mutmaßte Fuentes.
    John schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, dass ich im Halbschlaf einen Schrei gehört habe. Wenn das dort drüben Colvedo wäre, müsste er ihn ebenfalls gehört und Alarm geschlagen haben. Hat er aber nicht.«
    Fuentes dachte darüber nach und nickte. »Wir sollten nachsehen, was da los ist.«
    »Lasst uns lieber erst die anderen wecken.«
    »Dadurch würden wir unseren ungebetenen Gast nur vertreiben. Kommt schon, oder seid Ihr dafür nicht Manns genug?«
    »Ich will nur nicht den Helden spielen und dabei draufgehen.«
    Das Wiesel grinste John schelmisch an. »Allzu groß kann die Gefahr wohl kaum sein, sonst wären die Hunde nicht so ruhig. Immerhin ist es möglich, dass Ihr den Schrei nur geträumt habt. Ich will jedenfalls nicht Alarm schlagen und mich zum Gespött der anderen machen, nur weil dort drüben vielleicht ein Wildschwein den Boden durchwühlt.« Er hob die Augenbrauen, als habe er eine spontane Eingebung. »Auf Wildschweinbraten hätte ich heute Abend schon Appetit«, sagte er, während er leise sein Schwert zog. »Ich mache einen Bogen links herum. Ihr kommt von rechts. So nehmen wir das Vieh in die Zange.« Damit verschwand er im Gebüsch.
    John schlüpfte ebenfalls ins Unterholz, wobei er peinlich darauf achtete, knackende Äste und raschelndes Laub zu vermeiden. Es gelang ihm erstaunlich gut, leise und flink voranzukommen.
    Kurz vor dem Ziel hielt er inne. Durch die Farnblätter konnte er einen undeutlichen Umriss erkennen: kein Wildschwein, sondern eindeutig ein auf dem Boden kauernder Mann. John zögerte einen Moment, fasste Mut. Er fragte sich, ob Fuentes ebenfalls schon hier war. Da er ihn durchs dichte Blätterwerk nicht sah, konnte er es nur hoffen.
    Johns Faust schloss sich fest um seinen Schwertgriff. Er atmete noch einmal tief durch, riss die Farnwedel zur Seite und sprang mit einem beherzten Satz auf den Mann am Boden zu. Instinktiv wich dieser nach hinten aus, doch in diesem Moment brach Fuentes von der anderen Seite durchs Gebüsch und schnitt ihm den Weg ab. Erschreckt zuckte der Mann zusammen. Er wollte sich aufrichten, verlor aber das Gleichgewicht. Mit rudernden Armen fiel er auf den Rücken. Ächzend blieb er am Boden liegen.
    John traute seinen Augen kaum, als er den Mann erkannte: Es war Jorge La Roqua. Kein Wunder, dass die Hunde nicht angeschlagen hatten.
    Aber wie ist er hierher gekommen? Ich habe ihn doch sterben sehen!
    Der spanische Hauptmann schien total verängstigt, was gar nicht zu ihm passte. Er zitterte, glotzte mit weit aufgerissenen Augen John an und rang nach Atem, als sei er durch den halben Dschungel gerannt. Er wirkte wie ein gehetztes Tier. Sein Kinn war blutverschmiert. Als er John und Fuentes schließlich erkannte, entspannte er sich sichtlich. Er richtete sich auf, kam auf die Beine und drückte John mit seinen kräftigen Armen an sich wie einen Bruder, wobei er wild und hemmungslos zu schluchzen begann, während ihm gleichzeitig vor Erleichterung Tränen über die Wangen rannen.
    John verstand die Welt nicht mehr. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie La Roqua von einer Lanze durchbohrt worden war. Wie ihm ein Keulenschlag das Genick gebrochen hatte. La Roqua konnte nicht mehr leben! Dennoch stand er leibhaftig vor ihm, presste sich an ihn wie ein verängstigtes Kind.
    John löste sich von ihm und trat einen Schritt zurück. »Wie ist es möglich, dass Ihr hier seid?«
    Das Kinn des Spaniers bebte. Seine Freudentränen gingen über in ein leises, heiseres Kichern, das beinahe irre wirkte. Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er nur ein Wort: »Uahai.«
    Offenbar war er nicht ganz bei Sinnen. John packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Hauptmann La Roqua! Kommt wieder zu Euch!«
    Aber der Mann wiederholte nur sein unverständliches Gefasel: »Uahai! Uahai!« Dabei zog er John und Fuentes am Ärmel, als wolle er ihnen bedeuten, schleunigst von hier zu verschwinden. Als er begriff, dass sie ihn nicht verstanden, packte er Johns Kopf mit seinen mächtigen Pranken und riss vor dessen Augen seine Lippen sperrangelweit auf. Zuerst verstand John auch das nicht, doch dann

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