Incognita
Arbeitsalltag war ihm früher langweilig, ja sogar lästig erschienen. Heute machte sie ihn glücklich und dankbar.
Mit der Zufriedenheit kam auch die Erschöpfung. Die Aufregungen und Anstrengungen der Zeitreise steckten ihm noch in den Knochen. »Ich will nach Hause, mich hinlegen und zwanzig Stunden lang durchschlafen«, murmelte er matt.
Gordon willigte ein. »Ich werde ohnehin einige Tage benötigen, um herauszufinden, was genau schiefgelaufen ist«, sagte er. »Ich melde mich bei dir, sobald ich Näheres weiß. Falls du mich zwischenzeitlich erreichen willst, kannst du mich natürlich jederzeit anrufen. Meine Karte hast du noch?«
John rekonstruierte im Geist, was geschehen war, bevor er dieses Labor betreten hatte. Man hatte ihn in einem Kofferraum hierhergebracht. Davor hatte er Gordons Haus in Spitalfields aufgesucht. All das schien weit entfernt. Aber er erinnerte sich daran, dass er Gordons Visitenkarte bei sich getragen hatte. Er kramte sie aus seiner Hemdtasche und hielt sie ihm hin.
»Sehr gut«, sagte Gordon. »Kann ich momentan noch irgendwas für dich tun?«
»Erspare mir den Kofferraum deines Wagens.«
Gordon lachte. »Also gut. Ich schätze, das hast du dir verdient.« Er holte aus einem Schrank ein Glas, füllte es halb mit Mineralwasser und warf zwei Tabletten hinein. »Trink das«, sagte er und hielt John das Glas hin.
»Was ist das?«
»Es wird dir beim Einschlafen helfen. Wir werden dir den Mikrochip aus dem Arm entfernen und dich anschließend nach Hause fahren.«
Zu müde zum Diskutieren, nahm John das Glas und kippte es in einem einzigen großen Zug hinunter. Bereits wenige Augenblicke später spürte er, wie sein Körper sich entspannte und auch die letzten Sorgen von ihm abfielen, wie unnötiger Ballast, den er viel zu lange mit sich herumgeschleppt hatte.
Endlich war er außer Gefahr.
Kapitel 18
Als John erwachte, befand er sich in seinem Penthouse. Er lag ausgestreckt auf der Couch, die Arme am Körper, ein Kissen unter dem Kopf. Gordons Leute mussten den Wohnungsschlüssel in seiner Hosentasche gefunden haben. Oder sie hatten sich die Tür von Chester Kellerman öffnen lassen, dem Portier unten im Foyer.
John richtete sich mühevoll auf. Sein Schädel brummte wie nach einer durchzechten Nacht – vermutlich die Nachwirkung des Schlafmittels, das Gordon ihm verabreicht hatte. Er betrachtete seinen Unterarm. Dort, wo bis vor kurzem der Chip implantiert gewesen war, war jetzt nur noch ein kleiner Schnitt zu erkennen. Ein Sprühverband hielt die Wunde verschlossen. Gordons Leute hatten den Eingriff so professionell durchgeführt, dass vermutlich nicht mal eine Narbe zurückbleiben würde.
John schlurfte ins Bad und holte nach, was er im Dschungel über die Maßen vermisst hatte: eine ausgiebige Dusche. Anschließend putzte er sich mindestens zehn Minuten lang die Zähne. Danach fühlte er sich wie ein neuer Mensch.
Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr ihm der Magen knurrte. Er blickte auf die Uhr. Kurz vor fünf. Laura kam gewöhnlich nicht vor sieben nach Hause. Bis dahin bin ich verhungert, dachte er.
In der Küche fand er ein paar Scheiben Toast, Wurst und Käse. Er belegte sich zwei Sandwiches, kehrte ins Wohnzimmer zurück und schaltete den Fernseher ein. Während des Essens ließ er sich von irgendeinem Sportsender berieseln – nichts, was ihn wirklich interessierte, aber es tat gut, sich in der modernen Welt zurück zu wissen.
Er fragte sich, wie es nun mit Gordons Projekt weitergehen würde. Sollte er bei ihm investieren? Fünfzehn Millionen Pfund? Vorausgesetzt natürlich, dass die Treuhänder der McNeill Group so viel Geld lockermachen würden. John wog Pro und Contra gegeneinander ab. Einerseits war Gordons Zeitmaschine eine Sensation, von der die Menschheit bislang nur zu träumen gewagt hatte. Etwas, das von den meisten Experten schlicht für nicht möglich gehalten worden war! Wie viel Potenzial steckte in dieser neuartigen Technologie, wie viel Gewinn konnte man damit machen und welche weiteren Möglichkeiten würden sich eröffnen, wenn man erst alle Probleme aus dem Weg geräumt und weitere Wurmlöcher für Reisen in andere Zeiten gefunden hatte?
Andererseits hatte John selbst miterlebt, was es bedeutete, auf einer Zeitreise in Schwierigkeiten zu geraten. Man konnte verletzt werden, vielleicht sogar sterben. Oder man konnte ganz einfach nicht mehr in die Gegenwart zurückkehren – möglicherweise das Schlimmste aller Schicksale. Ein Leben im Zeitexil.
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