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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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im Urwald konnte er auf Überraschungen gut verzichten, strapazierten sie doch nur seine ohnehin schon schwachen Nerven. Er brauchte Ruhe, um mit sich und seiner Situation ins Reine zu kommen.
    Hin und wieder wechselte er mit Hernán Gutiérrez ein paar Worte, doch auch ihn schien Orellanas unerwartetes Auftauchen noch zu beschäftigen, denn er war ziemlich kurz angebunden. Vielleicht mied er die Unterhaltung auch ganz bewusst. Immerhin hatte John sich die mächtigsten Männer der Expedition zum Feind gemacht – nicht gerade die beste Voraussetzung, um neue Freunde zu gewinnen.
    Also trottete John die meiste Zeit schweigend hinter dem Zug her, wie ein Roboter, der einzig darauf programmiert war, den Anschluss nicht zu verlieren. In Gedanken vertieft, nahm er kaum etwas von seiner Umgebung wahr, die sich ganz allmählich veränderte.
    Zwar blieb die paradiesische Pflanzen- und Farbenpracht des Waldes erhalten, doch die sanften Hügel, in die er anfangs noch eingebettet war – die letzten Ausläufer der östlichen Anden –, gingen mehr und mehr in eine topfebene Fläche über. Die Monotonie der Reise spiegelte sich von da an auch in der Landschaft wider.
    Je länger der Marsch dauerte, desto mehr kam John ins Schwitzen. Das lag nicht nur an der hohen Luftfeuchtigkeit und der Temperatur, sondern vor allem an der körperlichen Anstrengung. Stundenlange Wanderungen war er nicht gewohnt, noch dazu in unwegsamem Gelände. Früher hatte er solche Dschungel-Trips aus purer Abenteuerlust unternommen. Seit der Übernahme des väterlichen Unternehmens war er jedoch träge geworden, und seine Kondition hatte erheblich nachgelassen – jetzt musste er dafür büßen. Dass er in einem fremden Körper steckte, änderte daran nichts. Er keuchte wie eine alte Dampflok und schwor sich, wieder mehr für seine Fitness zu tun, wenn er wieder in London war.
    Wenn …
    Wieder begannen die Zweifel an ihm zu nagen, ätzend wie Säure. Das Computerproblem in Gordons Labor schien kompliziert zu sein, sonst wäre es längst behoben worden. Johns Laune erreichte einen neuen Tiefpunkt.
    Am Nachmittag setzte ein infernalischer Wolkenbruch ein, der ihn innerhalb einer Minute bis auf die Knochen durchweichte und den Boden in eine glitschige Lehmmasse verwandelte. Der Marsch erschwerte sich dadurch noch mehr und geriet stellenweise zu einem wahren Balanceakt. Zu allem Überfluss wirkte die schlammige Erde wie Klebstoff, der nach Johns Stiefeln griff, sich daran festkrallte und ihn nicht wieder loslassen wollte. Das Vorankommen wurde mit jedem Schritt beschwerlicher. Die Blasen an Johns Füßen schmerzten höllisch, seine Beinmuskeln brannten wie Feuer.
    Gott, wie ich diese Reise hasse, dachte er.
    Die Mischung aus Monotonie, Schmerz und Selbstmitleid löste sich erst durch das Grauen auf, das die Dämmerung an jenem Abend mit sich brachte. Dabei wirkte der Dschungel zu diesem Zeitpunkt geradezu idyllisch. Der Regen hatte längst wieder aufgehört, und durchs Blätterdach der Urwaldriesen leuchtete der Abendhimmel in den schillerndsten Orangetönen, als würde er lichterloh brennen – ein Anblick, kitschiger als in den alten Technicolor-Filmen. Vielleicht war es gerade dieses Idyll, das John hätte skeptisch werden lassen müssen. Der Dschungel hatte sich viel zu schnell in ein perfektes Paradies verwandelt. Aber weder er noch sonst jemand vermutete Böses.
    Es begann damit, dass zwei Konquistadoren den Zug abritten und allen Expeditionsteilnehmern befahlen, noch mehr Disziplin als bisher zu zeigen. Unnötiger Lärm sei ab sofort bei Strafe verboten. Das gelte für jeden – für die Spanier ebenso wie für die Indios, für die Frauen wie für die Männer. Selbst die Tiere sollten so behandelt werden, dass sie sich möglichst ruhig verhielten. Als John einen der Reiter nach dem Grund fragte, antwortete dieser: »Wir passieren eine heilige Stätte der Jívaro. Don Pizarro rechnet mit einem Überfall der Wilden. Also seid auf der Hut.«
    John hatte keinerlei Vorstellung davon, wie eine heilige Stätte bei den Jívaro aussah, aber das Gesicht des Reiters verhieß nichts Gutes.
    Der Tross zog leise weiter. Jeder schien die drohende Gefahr zu spüren, nicht nur die Menschen, sondern auch die Hunde, Lamas und Schweine. Während John am Ende des Zuges weitertrottete, versuchte er, sich selbst zu beruhigen, indem er sich abermals Gaspar de Carvajals Tagebucheintragungen ins Gedächtnis rief. In diesem frühen Stadium der Reise fand noch kein Angriff

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