Incognita
Kampfeslust. Ihre Augen funkelten stolz, als sie entgegnete: »Wenn Ihr Euch schon nicht über meine Gesellschaft freut, dann wird Hauptmann La Roqua es umso mehr tun! Er mag ungezügelt und grob sein, aber er liebt mich wenigstens!«
Natürlich sprach sie so aus purem Trotz. La Roqua hatte ihren Mann kaltblütig erschlagen und ihren Bruder dem sicheren Tod überlassen, als er während des Anden-Abstiegs verunglückt war. Es war schlicht undenkbar, dass Neya dem Spanier irgendwelche anderen Gefühle als Hass und Verachtung entgegenbrachte. Aber offenbar war sie wild entschlossen, den Stoßtrupp zu begleiten, um in Johns Nähe zu bleiben.
Er seufzte. Im Grunde spielte es keine Rolle, ob sie mitging oder hierblieb. Von den Indios, die diese Expedition begleiteten, würde ohnehin kein einziger überleben. Dennoch erfüllte John die Aussicht auf das bevorstehende Unheil mit Trauer, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
Kapitel 12
Die Tage vergingen. Sie krochen in zäher Monotonie dahin, als hätte der Wald es sich zur Aufgabe gemacht, die Stoßtrupp-Teilnehmer mit purer Langeweile in den Trübsinn zu führen. Es geschah absolut nichts. Der Trupp traf weder auf wilde Tiere noch auf Eingeborene, von Gold oder Zimt ganz zu schweigen. Jeden Tag das gleiche Bild: Bäume, Sträucher, Farne und Lianen, wohin man auch blickte. Im ersten Moment unsagbar schön, auf Dauer jedoch erdrückend in seiner Gleichförmigkeit. Nicht einmal das Wetter änderte sich. Es blieb beständig neblig und regnerisch.
Das Einzige, was sich änderte, war die Stimmung in der Gruppe, denn die sank permanent weiter. Insbesondere Gonzalo Pizarro wurde immer gereizter. Schon am dritten Tag drohte er seinen indianischen Führern Peitschenhiebe an, wenn sie nicht endlich die Schätze des Waldes für ihn aufspürten.
Neya hielt die ganze Zeit über auffallend Distanz zu John. Dass er sie abgewiesen hatte, nagte so sehr an ihr, dass sie tatsächlich begann, mit Jorge La Roqua zu kokettieren, wann immer es möglich war, und der Spanier ließ sich allzu gerne darauf ein. Abends saß er neben Neya am Lagerfeuer und unterhielt sich mit ihr. Dabei war unverkennbar, dass dieser ungehobelte Klotz sich nach der Frau verzehrte wie ein verliebter Schuljunge. In Neyas Händen wurde der Löwe zum Lamm. Seine Sanftmütigkeit ihr gegenüber war fast schon rührselig.
Allerdings fürchtete John nichts so sehr wie den Augenblick, in dem La Roqua erkennen würde, dass Neya es nicht ernst mit ihm meinte. Verletzte Gefühle konnten den Verstand eines Mannes komplett außer Gefecht setzen. Daran wollte er im Moment lieber nicht denken.
Am fünften Tag ließ Pizarro seiner Drohung Taten folgen und aufgrund des anhaltenden Misserfolgs ein Exempel statuieren. Pater Carvajal, der Dominikaner, versuchte zwar, ihn davon abzuhalten, doch seine Anstrengungen blieben erfolglos. Pachuro, einer der Führer, wurde geknebelt, bäuchlings an einen Baum gefesselt und von Pizarro höchstpersönlich so lange mit der Peitsche geschlagen, bis ihm die Haut in Fetzen vom Rücken hing. Alle anderen standen stumm daneben und beobachteten das grausame Spektakel. Pizarro, wie von Sinnen vor Wut über die eigene Erfolglosigkeit, hörte nicht einmal auf, als der Gefesselte ohnmächtig am Baum zusammenbrach. Nachdem er sich endlich ausgetobt hatte, blickte er grimmig in die Runde. »Ich will Gold sehen!«, brüllte er. »Gold oder Zimt oder irgendetwas anderes von Wert! Hört ihr? Ich werde nicht eher aufgeben, bis wir fündig geworden sind. Wenn ihr nicht alle so enden wollt wie dieser unfähige Bastard« – er deutete mit einer Kopfbewegung auf den blutenden Körper am Baum –, »dann strengt euch gefälligst an! Und jetzt weiter! Wir haben keine Zeit zu verlieren!«
Mit diesen Worten stapfte er durch den matschigen Boden zu seinem Hengst, saß auf und ritt los. La Roqua und ein paar andere Berittene folgten ihm, begleitet von der kläffenden Hundemeute. Auch die Fußsoldaten sowie der Großteil der Indios beeilten sich, den Anschluss nicht zu verlieren. Nur eine kleine Gruppe Unentschlossener zögerte noch.
»Wir können ihn nicht so zurücklassen!«, sagte Neya und eilte zu dem Ohnmächtigen. »Helft mir, ihn loszubinden!«
Ein Indio schüttelte den Kopf und antwortete etwas in seiner Muttersprache, das John nicht verstand. Neya reagierte darauf ziemlich ungehalten. Für Johns Ohren klang es wie eine wüste Beschimpfung.
»Er hat Angst, dass Pizarro ihn ebenfalls auspeitschen lässt,
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