Incognita
sich vom Haupttrupp gelöst hatten – stießen sie endlich auf einen Zimtbaum. Die Freude darüber war so groß, dass Pizarro augenblicklich den Befehl gab, ein Lager aufzuschlagen und ein Festessen zu bereiten. Der Koch richtete eine Feuerstelle ein, und schon bald brodelte in seinem großen Kessel ein wunderbar duftender Eintopf. Sogar Wein ließ Pizarro ausschenken. Für Johns Gaumen war es der reine Genuss.
Nach dem Essen begann die fieberhafte Suche nach weiteren Zimtbäumen. Gonzalo Pizarro teilte die Männer und Frauen in Suchtrupps auf, die den Urwald systematisch durchforsten sollten. Doch als sie nach und nach wieder ins Lager zurückkehrten, um Bericht zu erstatten, war das Ergebnis niederschmetternd. Man hatte keinen einzigen weiteren echten Zimtbaum gefunden, nur falschen Zimt – ein anderes Lorbeergewächs, das zwar ähnlich aussah, dessen Rinde jedoch scharf und bitter schmeckte und sich daher zum Würzen nicht eignete.
Nach der vorübergehenden Euphorie traf Gonzalo Pizarro die unerwartete Niederlage doppelt hart. Jeder negative Bericht verfinsterte seine Miene weiter, und als auch der letzte Trupp seinen Misserfolg vermeldet hatte, war ihm anzusehen, wie sehr es in ihm brodelte. Die angestaute Frustration der letzten Wochen und Monate kochte schließlich explosionsartig in ihm hoch. Er packte einen indianischen Führer am Kragen und begann, ihn mit roher Gewalt hin und her zu schütteln. Der arme Mann war anderthalb Köpfe kleiner als Pizarro und wog mindestens zwanzig Kilo weniger, sodass er es nicht wagte, Widerstand zu leisten. Er wimmerte nur klagend vor sich hin, während er den Wutausbruch über sich ergehen ließ.
»Ihr gottverdammten Dilettanten!«, brüllte Pizarro, wobei er offenbar nicht nur den Führer, sondern alle Indios meinte. »Wofür habe ich euch überhaupt dabei, wenn ihr mir keinen Nutzen bringt? Ihr findet kein Gold und keinen Zimt, führt mich mal hierhin, mal dorthin! Ihr missbraucht meine Geduld! Aber damit ist jetzt Schluss! Wenn ihr schon zu nichts zu gebrauchen seid, dann sollt ihr uns auch nicht mehr begleiten! Spürt meinen Zorn! Ich lasse mich von euch nicht länger zum Narren halten!« Er brüllte wie von Sinnen, die Wut hatte ihn unzurechnungsfähig gemacht. »Hauptmann La Roqua.«
»Hier, Herr!«
»Sorgt dafür, dass diese verfluchten Bastarde in Schach gehalten werden!« Er deutete mit dem Finger auf die Indios, die stumm und verängstigt in einer Gruppe beisammen standen wie die sprichwörtlichen Opferlämmer. »Lasst niemanden entwischen! Und entzündet ein großes Feuer! Ich will dieses Gesindel brennen sehen!«
John stand wie gelähmt da. Dass der Vorstoß des Suchtrupps auf diese bestialische Weise enden würde, war ihm von Anfang an klar gewesen, aber er hatte erst in ein paar Wochen damit gerechnet. Einmal mehr stimmten die historischen Daten nicht mit den Fakten überein. Doch John kämpfte viel zu sehr mit seinen Gefühlen, als dass er sich darüber jetzt Gedanken machen konnte. Gonzalo Pizarro hatte den Befehl gegeben, alle Indios töten zu lassen. Auch Neya. Das Ende stand also unmittelbar bevor. Der Schock darüber saß so tief, dass John das Gefühl hatte, ihm würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Seine Kehle war staubtrocken, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er warf Neya einen Blick zu. In ihren weit aufgerissenen Augen flackerte die nackte Angst.
Dann überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Während Pater Carvajal auf Pizarro einredete, sich nicht an Gottes Kindern zu versündigen, brüllte Jorge La Roqua Befehle, woraufhin einige Soldaten sich daranmachten, Holz für ein großes Feuer zu sammeln. Erst jetzt schienen die Indios in vollem Umfang zu begreifen, wie ernst die Lage für sie geworden war. Einige begannen, laut zu schluchzen, verzweifelt zu schreien oder Gebete in ihrer Quichua-Sprache zum Himmel zu richten. Andere standen nur wie versteinert da, gelähmt durch die Aussicht auf den bevorstehenden Tod.
Vier von ihnen waren allerdings nicht bereit, ihr Schicksal so einfach hinzunehmen. Noch während La Roqua den Rest der Soldaten dazu einteilte, die Gefangenen zu bewachen, tauschten diese vier hastig ein paar Worte aus. Gleich darauf lösten sie sich von der Gruppe und rannten in unterschiedliche Richtungen los.
»Lasst sie nicht entkommen!«, schrie La Roqua.
Die Hundeführer leinten die Bluthunde los, die mit lautem Gekläff den Flüchtenden hinterherjagten. Die Armbrustschützen spannten eilig ihre
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