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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Waffen. Auch John präparierte seine Armbrust und legte sie an, obwohl er nicht beabsichtigte, jemanden damit zu töten. Nur zum Schein richtete er seine Armbrust auf einen der davonrennenden Indios, doch schon wurde der arme Teufel vom Bolzen eines anderen Schützen in den Rücken getroffen. Seine Beine verloren den Halt, und er fiel bäuchlings vornüber. Keuchend versuchte er, sich wieder aufzurichten – vergeblich. Schon waren die Hunde bei ihm, fünf an der Zahl. Sie umringten ihn, packten ihn mit ihren Kiefern und begannen, erbarmungslos an ihm zu zerren. Schon troffen ihre Mäuler vor Blut. Sie zerrissen ihn bei lebendigem Leib. Ein markerschütternder, nicht enden wollender Schrei gellte durch den Urwald. John unterdrückte ein Würgen. Weitere Schreie zerrissen die Luft. Überall dasselbe Bild: eine Meute blutdürstiger Hunde, die sich über angeschossene Indios hermachte.
    Dann verstummten die Schreie, einer nach dem anderen. Obwohl John nicht besonders gläubig war, bekreuzigte er sich. Die vier Ausreißer hatten es überstanden.
    Die Hunde zerrten die Leichen zum Lager zurück, wo zwei Spanier sie nebeneinanderlegten. Die Abschreckung verfehlte ihre Wirkung nicht. Falls mittlerweile weitere Indios mit dem Gedanken gespielt hatten, ihr Heil in der Flucht zu suchen, verwarfen sie diesen wieder. Die Hunde hatten die Toten grässlich zugerichtet. Niemand wollte riskieren, auf diese Weise zu sterben, vielleicht auch nur, weil keiner eine Vorstellung davon hatte, wie grausam der Flammentod war.
    Wenig später hatten die Spanier genug Holz für ein großes Feuer gesammelt. Mittlerweile waren die noch lebenden Indios um einen mächtigen Baumstamm zusammengetrieben und mit Seilen aneinandergefesselt worden. Auch die Fußknöchel hatte man ihnen zusammengebunden, damit niemand das Holz wegtreten konnte, das die Spanier jetzt kniehoch um die wimmernden Delinquenten verteilten. Gaspar de Carvajal unternahm einen weiteren Versuch, Pizarro noch in letzter Sekunde zur Vernunft zu bringen – abermals vergebens.
    John erlebte all das wie in Trance. Wie in einem Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gab. Während er mechanisch beim Holzschichten mithalf, suchte er fieberhaft nach einer Lösung. Aber was konnte er tun? Wenn der Dominikaner es nicht schaffte, Pizarro zur Einsicht zu bringen, dann konnte er es noch viel weniger – zumal er nicht riskieren wollte, selbst auf dem Scheiterhaufen zu enden.
    Zwei Konquistadoren machten sich an einem der Packlamas zu schaffen und kehrten mit einem Fass Schießpulver zurück. Sie lösten den Verschlusspfropfen und verteilten den Inhalt gleichmäßig um den Baum, um den herum die Gefesselten standen. Das Wimmern und Wehklagen der Indios schwoll nun zu panischen Schreiattacken an.
    Jorge La Roqua ging zur Feuerstelle und zog einen armlangen Ast aus den Flammen. Dabei bedachte er John, der in unmittelbarer Nähe stand, mit einem verächtlichen Grinsen. »Wenn ich sie nicht haben kann, wirst du sie auch nicht haben«, raunte er. Zweifellos meinte er Neya. »Die Hure hat mit mir gespielt. Jetzt wird sie dafür büßen.«
    Mit dem lodernden Ast in der Hand ging er zum Scheiterhaufen. Dann entfachte er ohne zu zögern das Feuer. Das Schießpulver flammte in einem gleißend gelben Lichtblitz auf, gleich darauf wurde die Helligkeit von dichtem Rauch verschluckt, der sich wie ein schwarzer, wabernder Gürtel um den Baumstamm legte und sich dann träge nach oben wälzte. Die Indios schrien erschreckt auf. Als ihnen der Rauch in die Lungen geriet, begannen sie zu husten und nach Luft zu ringen. Dann lichtete sich der Rauch, und das Holz begann, gefährlich zu knistern und zu knacken. Gelbe Flammen züngelten zwischen den aufgeschichteten Zweigen empor, schlossen einen Feuerkreis um die wehrlosen Indios. Das Husten der Gefangenen schlug wieder in Schreie um. Diesmal schrien sie nicht nur aus Panik, sondern vor Schmerz. Sie standen bis zu den Knien im nur halbherzig brennenden Feuer und wurden viel zu langsam von den Flammen erfasst. Sie wurden bei lebendigem Leib geröstet.
    Dieses Bild des unsäglichen Leids vor Augen wusste John auf einmal, was er tun konnte. Er riss seine Armbrust von der Schulter, spannte sie und legte einen Bolzen ein.
    La Roqua bemerkte es. »Was soll das?«, bellte er.
    John legte die Waffe an und zielte auf ihn. Mit einer gewissen Genugtuung sah er, dass La Roqua kreidebleich im Gesicht wurde. Drück ab!, schrie ihn seine innere Stimme an. Töte ihn, er hat es nicht

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