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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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eine trockene Ebene, durchsetzt von roten Hügeln mit niedrigem Buschwerk, und durchquere nur eine Handvoll Dörfer und Siedlungen. Riesige Spatzenschwärme fliegen raschelnd von dürren Büschen am Wegesrand auf. Verhüllte Arbeiterinnen bücken sich in hellgrün leuchtende Reisfelder unterhalb kleiner, spiegelglatter Stauseen. In alten Brunnen, die swimmingpoolgroß in den Fels unter der dünnen Krume der Hirsefelder gehauen sind, steht das Wasser zehn Meter in der Tiefe. Lkw, Pick-ups und Piaggio-Dreiräder rasen über die aufgeplatzte Piste; auf den Ladeflächen schaukeln Bauern mit Turbanen hinter zusammengepferchten Kühen. Ich vermute, sie sind auf dem Weg zu einem Viehmarkt. Oder sie wechseln die mageren Weiden. Immer wieder lehne ich Angebote ab, auf den Viehtransportern, auf Granitlastern, Zweitakttaxis, Traktoren und Motorrädern mitzufahren. Das Land ist so leer, keiner will mich hier allein gehen lassen.
    Ich bin auf dem Weg in die Stadt Gottes. Zum Sai Baba, jenem seltsamen Heiligen mit der ausladenden Afrofrisur, dem so viele Inder anhängen. Und nicht wenige Westler. » Sai Ram «, rufen die Dörfler und Ziegenhirten fröhlich und heben die Rechte an die Stirn. Aber ich stelle mich dumm. Ich sträube mich dagegen, einen Menschen im Gruß zu » Ram « zu erheben, zu »Gott«: » Ram Ram «, rufe ich zurück. Und » Jai Ram «, »Es lebe Gott.«
    Jeden Morgen laufe ich singend hinaus in die endlose Weite. Fröstelnd unter dem sternbesetzten Firmament, marschiere ich durch das fast geräuschlose Vakuum der Ebene. Beharrlich lenke ich meinen Körper durch das bläulich gelbe Licht der Dämmerung und opfere meine Schritte der in den wolkenlosen Himmel hinaufrasenden Sonne.
    Aber schon am späten Vormittag verwandeln sich meine Wanderlieder regelmäßig in Flüche. Die Mittagstemperaturen steigen auf deutlich über 30 Grad. Der Wind, der auch hier beständig von Norden weht, bringt keine Kühlung. Dafür trockenen Husten. Ich verbrauche Unmengen von Süßigkeiten, Halva und Konfekt. Möglichst keine Schokolade, denn die ist meist um neun Uhr früh schon geschmolzen. Ich trinke sieben Liter Wasser täglich, angereichert mit Elektrolyten und laufe bis zu 40 Kilometer am Tag. 750 Kilometer liegen jetzt, nach einem Monat Wanderung, hinter mir.
     
    Eines frühen Morgens überschreite ich die Grenze in den Bundesstaat Andhra Pradesh. Am Nachmittag erreiche ich Puttarparthi mit wackelnden Knien. An einer Kreuzung unterhalb der Stadt hocke ich erschöpft am Straßenrand und beobachte die Feuer in den umliegenden Hügeln, flächendeckende Brandrodung vermutlich, als ein Wagen hält. Ein Mittfünfziger mit europäischem Gesicht und Gel im Haar bittet mich hinein. Er ist komplett in Weiß gekleidet und drückt mir eine Cola-Flasche in die Hand. »Scheiß Hitze, oder?« Der Mann spricht mit breitem Cockney-Akzent. »Ich bringe dich in ein Hotel.« Über das Dachfenster der Limousine fliegt ein schneeweißer Torbogen hinweg, auf dem Welcome – Sri Sathya Sai Taluk steht. Wir passieren die Sri Sathya Sai University: Mauern und Türme, alles in Rosa, dann ein Rollfeld. »Indian Airlines fliegt Puttaparthi immer mal als Stopover an. Und dann wieder für
ein paar Jahre nicht«, sagt der Mann in Weiß. Er hat ein vierschrötiges, narbiges Gesicht mit einem gewaltigen Zinken in der Mitte. Er heißt Alan und kommt aus London. »Ich wohne hier in einem Luxusappartement«, sagt er, als wir die Stufen zum Hotel Sri Sai Sadan hinaufgehen. Dann ist er weg.
    Über dem Bett meines Hotelzimmers hängt das Konterfei des Meisters. Über der Tür ist mit schwarzem Stift ein Sinnspruch an die Wand geschrieben: Pleasure is an interval between two pains . Das exakte Gegenteil meiner Lebensphilosophie.
    Am nächsten Morgen will ich versuchen, dem Sai Baba ein paar Fragen zu stellen. Ich habe mich schon von Deutschland aus bemüht, einen Termin bei ihm zu bekommen, aber ich wurde aufgefordert, persönlich um eine Audienz vorzusprechen. Ich laufe durch eine Stadt, in der alles den Namen des Guru trägt. Im Sai Super Bazar kaufe ich neue Kugelschreiber und Notizblöcke, auf denen Sai Baba steht. Die Glasfassaden des neu eröffneten Hotels Sai Heritage protzen neben dem schlichten Eingang der Sai Residence. Unterhalb der Sri Sathya Sai Clinic und des Sai Theja Medical Store gratuliert die State Bank of India anlässlich ihres eigenen zweihundertsten Geburtstags auf einem Plakat »ehrfurchtsvoll« dem »Göttlichen Meister«.
    Das Herz des

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