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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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habe: Khuddus in Hyderabad, den Arzt Deepak in dem verborgenen Tal in Madhya Pradesh, den fürsorglichen Apotheker in Talbehat. Vielleicht werde ich sie auf einer späteren Reise noch einmal besuchen. Und länger bleiben.
    Kurz vor der Stadt Morena passiere ich eine Mautstelle, die mich an die DDR erinnert. Zwei kleine Grenzhäuschen mit Gitterfenstern, von denen der weiße und blaue Lack pellt. Je zwei Männer hocken in jeder Hütte, zwei stehen davor, um beidseitig den Verkehr zu regeln.
    Zwei Tage hinter Gwalior erreiche ich Rajasthan. Ein schmaler Streifen des Landes der Wüste und der stolzen Kriegerfürsten streckt sich hier weit nach Nordosten. Am Nachmittag liegt die Grenze vor mir. Sie wird von einem Tempel auf einer kleinen Passhöhe oberhalb des Flusses Chambal markiert. Fröhlich winkende junge Männer sitzen in einer langen Reihe von Verkaufsständen hinter Tellern voller Süßigkeiten; die großen angeschnittenen Konfektlaibe sehen aus wie Käseblöcke. Neben jedem Stand ragt ein Betonrohr aus dem Boden, aus dem Reisende mit einem Metallkrug Trinkwasser schöpfen können. Ich steige in einen Canyon zum Fluss hinab, der träge dahinfließt. Auf der anderen Seite thront ein Fort über dem Wasser, unten am Ufer flattern Fahnen an einer Anlegestelle im Wind.
    Das Land wirkt weit und wüst. Schlagartig ist es sandig. Ein dicker Streifen feiner, weißer Körner säumt die Straße jenseits des Grenzflusses, als würde der Wind vom Arabischen Meer die Wüste Thar aus dem Herzen Rajasthans gegen die Ausläufer des zentralindischen Hochlands wehen. Den dauererodierenden Hügeln ringsum fehlt jede Struktur. In dem Labyrinth von Erhebungen und trockenen Flussbetten leuchten Höfe und Siedlungen mit blauen und roten Mauern und
wenige grüne Reisfelder. Einzelne Formationen drängen bis an die Straße heran, meterhohe Monolithen aus gelbem Sand, zerbröselnde, von Wind und Regen angenagte Formationen.
    Die Straße jenseits der Grenze ist eine enge, zweispurige Piste. Männer mit Flinten über der Schulter holpern auf Motorrädern und Fahrrädern darüber. Sie tragen weiße Turbane, schwarze Westen und Hemden bis auf die Knie. Sie stehen reglos mit falschen Ray-Ben-Sonnenbrillen am Straßenrand oder spielen an die Lehmwände von Wohnhäusern gelehnt, Karten. Ihre Gesichter sind wild.
    Und sie sind unerhört stolz. Die Männer gehen auf mich zu, schauen mich direkt und schweigend an. Oder sagen wie zu sich selbst, überrascht und ohne das Gesicht zu verziehen »He, Fremder.« Erst wenn ich grüße, antworten sie mit einem ordentlichen nordindischen » Namaskar «.
    Dhaulpur ist die einzige Stadt in Rajasthan, die auf meiner Strecke liegt. Die Hauptstraße ist übersät mit Unrat und losen Steinen. Ich frage mich, warum keiner sie wegräumt. Ein Mann verkauft am Straßenrand auf einem vierrädrigen Schiebetransporter Fladenbrotreste, halbe Stücke und Viertel, die meisten sind verbrannt. Zwischen wenigen sauberen Fassaden finde ich hinter einem Bauzaun ein kleines, modernes Hotel mit Neonlichtambiente und Bistrotischen vor einer Glasfassade. Der Strom fällt aus, sobald es dunkel ist, und ich lege mich früh ins Bett, um mich von dem Geräusch eines Generators ein paar Häuser weiter in den Schlaf dröhnen zu lassen.
    Am Morgen frühstücke ich in einem Kramladen mit einem Mann mit einem grünen Schal um den Kopf. Er spendiert mir die Hälfte seines frisch gebrühten Tees, indem er ihn aus seinem Metallbecher in einen Plastikbecher gießt.
    »Was ist der Unterscheid zwischen den Rajasthani und den anderen Indern?«, frage ich.
    »Hier tragen alle Männer einen Schnauzbart und ein langes Hemd«, erwidert er. »Und die Straßen sind miserabel.« Aber vor allem sei Rajasthan natürlich weltberühmt. »Für seine Tempel und Forts. Für Musik und Tanz.« Auch wenn ich davon in dieser Stadt leider nichts sehen könne.
    Kurz hinter Dhaulpur geht die zweispurige Piste wieder in eine ansehnliche, vierspurige Autobahn über. Als ich die Grenze nach Uttar Pradesh überquere, tauche ich, wie so oft in den Wochen zuvor, in Nebel. Unsichtbar und leicht laufe ich durch dichten Dunst nach Agra.

Geschlossene Gesellschaft
    Am ersten Abend in Agra durchquere ich auf einem im Guesthouse geliehenen Fahrrad ein wildes nordindisches Nebeneinander von Verfall und Erhalt. Im Stadtzentrum thronen Mogulbauten über schäbigen 1980er-Jahre-Fassaden. Hinter mittelalterlichen Stadttoren erheben sich Neubauten zu horizontal wuchernden,

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