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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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Jahren zurückkam. »Als ich ein Kind war, spielten die Nachbarjungen beim Shakha. Ich wollte dabei sein, ich fand das spannend. Es gab Disziplin. Es wurden Werte vermittelt. Obwohl ich das nicht gespürt habe, das merkt man erst später. Wenn ich nicht im RSS gewesen wäre, wäre ich den Mädchen hinterhergelaufen.« Der RSS werde Indien vor dem Auseinanderdriften bewahren.
Vor dem Terrorismus. »Die Gesellschaft hat einen individualistischen Ansatz, aber der ist nicht aufrechtzuerhalten. Bei uns gibt es einen unglaublichen Zusammenhalt. Der RSS ist gut für den Einzelnen. Und für die Nation.«
    Das Spiel ist vorbei, alle Ziegen sitzen gefangen außerhalb des Kreises. Die Spieler rufen: » Bharat Mata ki Jay «, »Es lebe Mutter Indien.« Zwei Mädchen in Jeans und Sari treten mit Einkäufen in den Tragetaschen durch das grüne Drehtor des Parks. Sie setzen sich auf lackierte Parkbänke, teilen eine Packung Chips und eine kleine Flasche Cola und schauen den Übungen zu.
    Der Übungsleiter trillert zweimal in eine Pfeife. Die jüngeren Shakha-Teilnehmer versammeln sich. Sie stehen zweireihig still im Glied, die Hände brav gefaltet. Er pfeift wieder. Sie legen sich auf den Boden. Das Auf und Ab wird immer schneller, im Takt der Pfiffe machen sie Liegestütz. Dann gehen sie zu Kampfübungen über. Mit der rechten und linken Hand machen sie abwechselnd Schläge durch die Luft. »Selbstverteidigung« nennt Pravin das Training. »Das kommt aus dem Kalaripayattu, aus Tamil Nadu.«
    »Sieht militärisch aus«, sage ich. »Ist der RSS eigentlich eine gewalttätige Organisation? Ist es wahr, dass ein RSS-Mann Gandhi ermordet hat?«
    Pravin wird lebhaft, er scheint auf diese Frage gewartet zu haben. »Das ist eine Legende der Linken. Es war Zufall, dass der Mann bei einem Shakha gewesen ist, bevor er den Mahatma umgebracht hat. Gandhi war ein großer Mann, ich verehre ihn für seine Botschaft des einfachen Lebens.«
    Der Leiter mit dem Nazibärtchen versammelt die Jungen zu einem Kreis auf dem Rasen. Sie klatschen und singen ein Loblied auf Mutter Indien. Ich setzte mich zu ihnen in die Dunkelheit jenseits des schwaches Lichtes, das die umliegenden
Geschäfte und Straßenlampen in den Park werfen. Die Gesichter sind kaum zu erkennen. Ich fühle mich unwohl und unsicher. Ein Spion in Feindesland, Pravin hat mich bestimmt längst durchschaut.
    Der Übungsleiter richtet sich vor der Versammlung auf, die Hände auf dem Rücken gekreuzt. Er hat sich ein blaues Anorakjäckchen mit schwarzem Muster über die doppelten T-Shirts geworfen. »Wir haben hier einen deutschen Gast«, sagt er. »Deutschland und Indien haben viel miteinander zu tun. Wisst ihr, warum?«
    Ein schlaksiger, vielleicht vierzehnjähriger Knabe springt auf. Seine Worte klingen auswendig gelernt: »Subhas Chandra Bose traf Hitler, um Hilfe für den Freiheitskampf zu bekommen.«
    »Genau«, sagt der Dicke. Er spricht über Boses Bedeutung für die indische Unabhängigkeitsbewegung und über sein Verhältnis zum Indian National Congress. Über seinen Aufenthalt in Deutschland. Über die Azad Hind Legion, das der Waffen-SS unterstellte Infanterieregiment 950. Und über Boses Plan, von Persien aus mithilfe deutscher Truppen Indien von den Briten zu befreien. »Gebt mir Blut und ich werde Euch Freiheit geben. Das war sein Slogan«, sagt er.
    Zum Abschluss des Shakha bilden die Jungen vor einem orangefarbenen Wimpel, der am Rand des Parks aufgestellt ist, eine symmetrische Formation. Die kleinen stehen vorn, die großen hinten. Sie salutieren vor der Fahne, die Hände gefaltet, den Kopf geneigt. Sie rufen » Namskar !«, »Ehre sei dir!«
    Noch nie habe ich mich so für dieses Land geschämt. Als stünde mir das zu.

Auf dem Kamelwagen
    Es fällt mir leicht, die Hauptstadt zu verlassen, sie hat mich enttäuscht. Aber die Erkältung, die sich auf dem Weg nach Delhi nur angedeutet hat, macht sich schnell bemerkbar, sobald ich wieder laufe. Mit kratzendem Hals fädele ich mich jenseits des Flusses Yamuna auf der Landstraße S 57 ein. Mit Schluckbeschwerden passiere ich die Vorstädte zwischen Shadara und Ambedkar Nagar, ein muslimisch geprägtes semiurbanes Chaos.
    Delhis Nordrand ist arm. Vor Tischlereien stapeln sich Holzblöcke und Bambusstangen. Vor Mopedläden baumeln Stoßdämpfer von Vordächern. Fliegen schwirren um Äpfel, die in Fruchtläden am staubigen Straßenrand zu Pyramiden gestapelt sind; die Bananen in den Auslagen sind schwarz und mit Schimmel

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