Indigo - Das Erwachen
blätterte sie durch das Bibliotheksbuch und die vielen kopierten Zeichnungen, die ihre neue Zielperson ihr hinterlassen hatte â Hinweise, durch die sie den Jungen finden würde.
Fast kam es ihr so vor, als hätte dieses geheimnisvolle neue Kristallkind sie herausgefordert, sich auf die Suche zu machen, indem es das Buch und den Rucksack zurückgelassen hatte. Der Gedanke stachelte sie an. Obwohl Alexander sie ausdrücklich angewiesen hatte, sich einzig auf Lucas Darby zu konzentrieren, hatte sie sich seinen Wünschen widersetzt und verfolgte die Sache mit dem neuen Jungen weiter â eine Ãberraschung, die sie Alexander präsentieren würde, sobald sie nennenswerte Ergebnisse erzielt hatte.
Als sie fand, wonach sie gesucht hatte, lächelte sie und hob das Glas, um mit sich selbst auf ihren Erfolg anzustoÃen.
âAuf uns, Alexander.â
Sie war in einer der Zeichnungen fündig geworden. Sie zeigte einen Jungen und ein Mädchen beim Schlafen. Sie hatte dem Bild keine groÃe Aufmerksamkeit geschenkt, da man die Gesichter nicht erkennen konnte. Ein seltsames historisches Element in deroberen Ecke hatte kurz ihre Aufmerksamkeit erregt, doch dann hatte sie es wieder vergessen. Bis sie genau dieses Bild in dem Kunstband aus der Bibliothek fand. Deswegen war dem Jungen das Buch so wichtig gewesen!
âWo steckst du nur?â, flüsterte sie.
Sie informierte sich über die Tunnel, in denen sich das Originalgemälde befand. Dann zog sie eine Stadtkarte hervor und suchte die Kreuzung heraus, die im Buch genannt wurde. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass sich unter der Innenstadt von L.A. ein Tunnelsystem erstreckte. Als Nächstes holte sie ihren Laptop und suchte nach weiteren Informationen.
Sie wollte den neuen Jungen haben. Doch Alexander gegenüber musste sie ihren Fund zunächst als Hinweis auf den Aufenthaltsort von Darby darstellen. Und zwar, bevor OâDell es tat. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war spät. Nach zehn, aber sie konnte nicht länger warten. Sie rief die Privatnummer von Alexander Reese an. Sie hatte ihn nur ein einziges Mal zu Hause besucht. Sie malte sich aus, wie er um diese Uhrzeit aussehen mochte. Der Wein half ihrer Fantasie auf die Sprünge.
Als er abnahm, sagte sie: âIch musste Sie einfach anrufen. Ich habe etwas gefunden.â
âEs ist schon spät. Ist es wichtig?â
Männer . Im einen Moment raubten sie einem den Atem, im nächsten wollte man sie am liebsten erwürgen. Warum sollte sie um diese Zeit schon anrufen, wenn es nicht wichtig war?
âJa.â
Sie erzählte ihm, was sie sich zurechtgelegt hatte â nur ein Stück von der Wahrheit, das nicht verriet, woher sie ihre Spur hatte. Wenn sie zugab, dass sie weiter nach dem neuen Jungen gesucht hatte, würde Alexander nicht weiter zuhören.
âKompliment für Ihren Einsatz, Fiona. Sie sind wirklich erstaunlich.â
Sie trank den Wein aus und unterdrückte ein Lächeln, doch als er weitersprach, hätte sie sich fast verschluckt.
âAber OâDell hat den Darby-Jungen bereits aufgespürt. In den Tunneln, von denen Sie gerade gesprochen haben. Ich werde Sie morgen früh über alles Weitere aufklären. Wenn es gut läuft, sollten wir Lucas Darby bald geschnappt haben. Dann haben Sie ein neues Testobjekt, das Ihrer ganzen Aufmerksamkeit bedarf. Ihr erstes Kristallkind. Eines, das Sie entdeckt haben. Gute Nacht, Fiona.â
Als die Leitung tot war, bekam sie kaum mehr Luft. Ihr Körper zitterte, und sie wollte laut losschreien. Stattdessen schmiss sie das Weinglas gegen die Esszimmerwand und sah zu, wie die Glasscherben durch die Luft sprangen. Alexander hatte sie nicht einmal auf dem Laufenden gehalten. OâDell führte einen wichtigen Einsatz durch, und niemand hatte es für nötig befunden, sie aufzuklären.
Fionas Gedanken rasten, während sie die Zeichnungen anstarrte. Auch wenn OâDell den Darby-Jungen schnappte, hatte sie immer noch den zweiten Jungen. Und der würde ihr ganz alleine gehören.
Bristol Mountains
Nach Mitternacht
Rayne konnte nicht aufhören, über das nachzudenken, was am Nachmittag zwischen Gabriel und seinem Onkel vorgefallen war. Die beiden hatten ihr zwar das Gefühl gegeben, dass sie ein Teil des Ganzen war, doch ihr war bewusst, dass das nicht stimmte. Jedenfalls nicht richtig. Nach seinem Erlebnis im Kuppelzimmer hatte Gabe kaum noch geredet.
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