Indigo - Das Erwachen
aufrechterhalten. Bei allem, was gerade vor sich ging, hatte sie keine Kraft mehr dafür übrig. Er war nicht in ihre Privatsphäre eingedrungen. Ohne ihren inneren Schild strömten die Gedanken so ungehindert aus ihr heraus, als würde sie bewusst Botschaftenversenden. Sie tat ihr Bestes, ihre Energien umzulenken, um den Schutzwall wiederaufzubauen. Doch sie war nicht so stark wie Lucas.
Wahrscheinlich hatte er im Fieber deswegen ihre Vergangenheit sehen können. Während sein Körper gegen die Gehirnerschütterung ankämpfte, hatte er plötzlich Zugang zu einem Bereich seines Gehirns gehabt, über den sie noch mehr würden herausfinden müssen. Der Gedanke machte Kendra Angst. Denn er bedeutete, dass niemand Geheimnisse vor Lucas haben konnte. In der neuen Welt, von der sie ein Teil sein wollte, würde man Regeln für Menschen wie Lucas aufstellen müssen, damit sie ihre Fähigkeiten nicht zügellos nutzten.
Lucas war ihre Zukunft, Lucas und andere, die so waren wie er.
Und Kendra gehörte nicht zu ihnen.
âSpürst du das?â, flüsterte Lucas. Seine echte Stimme zu hören erschreckte sie.
âNein. Was denn?â
Lucas blieb stehen und drehte sich um in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er verhielt sich ganz ruhig. Zu ruhig. Ihm zuzusehen machte ihr Angst.
âJemand kommt.â
âVon wo?â Kendra hatte das Gefühl, nutzlos für ihn zu sein.
âVon ⦠überall.â
Sie schloss die Augen, um ihre letzte Kraft auf das zu richten, was Lucas wahrnahm. Als sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten und sie eine Gänsehaut bekam, schnappte sie nach Luft.
âOh, mein Gott. Was ist das?â Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Sie konnte es ebenfalls spüren. â Wer ist das?â
Lucas antwortete ihr nicht.
Er sagte nur: âKomm, er braucht unsere Hilfe.â
Kendra konnte nicht alles spüren, was Lucas wahrnahm. Doch sie fühlte die Anwesenheit von jemandem, der sehr stark war. Wer auch immer es war, er hatte sich in ihren Kopf eingeklinkt, und es schien ihm noch leichterzufallen als Lucas während seines Fiebers. Sie hatte keine Ahnung, wer âerâ war, aber sie vertraute auf Lucas â besonders, als sie sein Lächeln sah.
Rayne stolperte von Gabriel weg. Tränen flossen über ihre Wangen, und Hellboy winselte zu ihren FüÃen. Gabe hätte ihr nicht sagen müssen, wie gut er sich fühlte, denn er strahlte ein blendendes Licht aus. Es kam aus seinem Inneren, aus seinen Augen und seinem Mund, den er zum Schrei geöffnet hatte. Das intensive Licht schien ihn zu verschlingen wie eine weiÃe Feuerkugel. Rayne sah seinen Körper in dieser Masse reiner Energie, doch sein Gesicht war nicht richtig zu erkennen.
Als der Boden unter ihren FüÃen zu beben begann, wollte sie fortlaufen, doch etwas zwang sie zu bleiben. Sie würde Gabriel nicht im Stich lassen. Sie spürte eine neue Energiewelle von ihm ausgehen. Ihr Inneres prickelte vor Hitze, als würde sie in einer Mikrowelle gegrillt werden. Gabriel war zu etwas GröÃerem geworden, und sie wusste nicht, ob er jemals zu ihr zurückkehren würde.
Was auch immer die Kontrolle über ihn gewonnen hatte â es erschreckte sie fast zu Tode.
Welle über Welle sprangen wahrgewordene Albträume aus den Schatten hervor, als wären sie aus der Dunkelheit geboren worden. Die Schreie geisterhafter Wesen hallten durch die dunklen Gänge, näherten sich den Männern, die die Indigokinder angriffen. Wie aus dem Nichts erschienen knurrende Pitbulls, die in demselben Blau wie Hellboy glühten. Gabriels Legion der Toten war ins Reich der Lebenden gekommen. Schlangen glitten aus dem Boden empor wie sprieÃendes Unkraut, und dann gerieten die Wände in Bewegung, und Kakerlaken krabbelten hervor wie eine Plage und purzelten auf den Betonboden. Ihre Körper glänzten in Gabriels Licht.
Die Kreaturen, die er heraufbeschworen hatte, suchten die Dunkelheit, mieden Rayne und Gabriels Licht. Als er den Gang entlanglief, folgten ihm seine höllischen Horden. Er würde sie auf Männer loslassen, die diese Rache verdient hatten. Rayne schlang ihre Arme fest um ihren Körper. Sie war zu fassungslos, um ihm zu folgen. Gabriel war auf dem Weg zu den Männern, die Menschen wie ihn jagten, und er war mit Fähigkeiten bewaffnet, die über alles hinausgingen, was diese Ungeheuer jemals
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