Indigo - Das Erwachen
ermüdend.
âLegt ihn auf meine Matratze. Und holt mir ein paar Lappen, eine Schüssel Wasser und einen Verbandskasten. Er muss vielleicht genäht werden.â
Die anderen liefen los und brachten ihr, was sie brauchte. Rafe hielt sich währenddessen im Hintergrund und beobachtete Kendra von Weitem. Sie zündete Kerzen an, durchsuchte die Taschen des Neuen und zog ihm dann die Sachen aus.
âKein Ausweisâ, sagte sie. âIch habe nur eine Telefonnummer auf einem Fetzen Papier gefunden. Ohne Namen.â
âIch könnte herausfinden, zu wem die Nummer gehört. Morgen muss ich sowieso nach oben. Hab was zu erledigen. Ich kann die Nummer anrufen. Soll ichâs versuchen?â
Rafe unterdrückte ein Lächeln, als er daran dachte, was er für morgen geplant hatte. Eine Ãberraschung. Kendra sah so aus, als ob sie etwas Besonderes nötig hatte.
âNein, mach dir keine Mühe.â Sie stopfte sich den Zettel in die Tasche. âNoch nicht.â
âFalls du es dir anders überlegst: Ich gehe sowieso nach drauÃen.â
Kendra schien ihn gar nicht zu hören. Sie suchte den Körper des Neuen nach blutigen Löchern ab, die gestopft werden mussten. Er hatte fiese Wunden an Rücken und Armen und eine Beule von der GröÃe eines Baseballs am Hinterkopf. Sie war gut darin geworden, die Ãrztin zu spielen, aber etwas an der Art, wie sie sich ganz besonders um diesen Jungen kümmerte, bereitete Rafe ⦠Kummer . Er wartete, bis sich die erste Aufregung gelegt hatte und die anderen gegangen waren. Dann hatte er Kendra für sich.
âDiese Männer. Diesmal haben sie unsere Gesichter gesehen. Du hast ihnen sogar einen Eindruck vermittelt, wozu du in der Lage bist. Was hast du dir dabei gedacht?â, fragte er.
Doch er kannte die Antwort auf seine Frage schon. Kendra übertrieb es immer häufiger mit dem, was sie tat. Es war, als ob sie die Leute herausfordern wollte, sie aufzuhalten.
âDarüber haben wir doch schon gesprochen, Rafe. Ich habe einen Plan, schon vergessen?â
Rafe wusste, dass Kendra sich dazu berufen fühlte, Kinder und Jugendliche wie sie zu retten, aber in den letzten Konfrontationen mit den Believers war sie auf ihre ruhige, kontrollierte Art auf direkten Konfrontationskurs gegangen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte.
âDu reibst es ihnen praktisch unter die Naseâ, sagte er. âDu riskierst, dass wir in ihrem Fadenkreuz landen, und zwar nach ihrem Zeitplan und nicht nach unserem. Du hast das alte Parkhaus ausgesucht, um diesen Jungen einzusammeln, weil es dort keine Ãberwachungskameras gibt, aber warum hast du diesen Arschlöchern dann unsere Gesichter gezeigt?â
âWir haben es durchgezogen. Das ist alles, was zählt.â
âDu wolltest , dass sie uns sehen. Dass sie deine Macht spüren.â Als Rafe begriff, was Kendra getan haben musste, sah er sie durchdringend an. âHast du deswegen gewartet, bis der Junge auf dem Dach angekommen war? Weil es dort hell genug war, damit die Männer uns sehen konnten? Der Junge ist verletzt, weil du gewartet hast, Kendra.â
âIch konnte nicht wissen, dass es so kommen würde. Wenn ich geglaubt hätte, dass er verletzt wird, hätte ich niemals so gehandelt.â Kendra versagte die Stimme. âIch bin es leid, ein Opfer zu sein, obwohl wir genauso ein Recht auf Existenz haben wie sie. Auf ein Leben in der Ãffentlichkeit, in Freiheit.â
Sie wandte sich wieder dem Neuen zu und tupfte ihm mit einem blutigen, nassen Handtuch seine Stirnwunden ab. Der Junge hatte seine Augen noch nicht geöffnet. Sie atmete tief durch und seufzte schwer.
âWir sind menschliche Wesen, Rafe. Wir sind einfach nur ⦠anders. Wir sind besser als sie, und das macht ihnen Angst. Sie jagen uns, und doch behandeln sie uns, als wären wir wertlose Tiere. Das ist einfach nicht richtig.â
âIch wollte dich nicht beschuldigen. Ich weiÃ, dass das, was diesem Jungen passiert ist, ein Unfall war. Manchmal habe ich einfach nur ⦠Angst um dich. Du mutest dir zu viel zu. Ich wünschte, du würdest dir mehr von mir helfen lassen.â Er kniete sich neben sie und sah ihr in die tränenden Augen.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. âOhne dich könnte ich nichts von alledem. Das weiÃt du doch, oder?â
Nachdem Rafe genickt hatte, reichte sie ihm eine Schüssel
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