Indigo - Das Erwachen
sehen, die vor Sorge und Hoffnung glitzerten, und sie glauben lassen, dass er die Antwort auf ihre Probleme war. Er war für niemanden die Antwort auf irgendwas. Er stand auf und tat so, als würde er sich um den Truck kümmern.
Vollidiot! Herauszufinden, dass die Gesichter in seinem Skizzenblock zu echten Menschen gehörten, war das Sahnehäubchen auf seinem verdammten Selbstmitleidskuchen. Was für ein Loser!
Die ganze Zeit hatte er seine Albträume für eine verdiente Strafe gehalten â ein Abschiedsgeschenk von einem Vater, der ihn für einen Freak hielt und als persönliches Versagen betrachtete, als etwas, das repariert werden musste. Gabe war nicht einmal auf die Idee gekommen, dass die Kinder in seinen Träumen wirklich existieren könnten, weil es zu seinem Lebensinhalt geworden war, sich zu verstecken. Jetzt, wo er wusste, dass nicht seine eigenen Dämonen diese Gesichter heraufbeschworen, würde er eine Entscheidung treffen müssen: Entweder er riskierte alles, indem er sich einmischte, oder er wurde zu einem Typen, der sich nur dafür interessierte, seinen eigenen Arsch zu retten.
Tolle Alternativen .
Raynes Bruder Lucas war definitiv in eine hässliche Sache hineingeraten. Gabe hatte ihr zuliebe für sich behalten, was er gesehen hatte. Lucas war nicht einfach nur ein bisschen erschrocken, sondern zu Tode verängstigt gewesen. Und möglicherweise hatte der Typ mit der fleischigen Hand an seiner Kehle seine ganze Wut an ihm ausgelassen. In dem Moment, in dem er von Rayne geweckt worden war, hatte Gabe noch Schmerz gespürt, dann war die Verbindung abgebrochen.
Doch ihm war noch etwas aufgefallen, das ihn noch mehr beunruhigte â etwas, von dem er Rayne ebenfalls nichts erzählt hatte.
In seinem Traum waren auch einige der Gesichter aufgetaucht, die er schon vor Längerem gezeichnet hatte. Das war ihm allerdings erst aufgefallen, als er seinen Skizzenblock wieder durchgeblättert hatte. Vielleicht versuchten diese Jugendlichen, ihm etwas zu sagen. Was, wenn nicht nur Lucas in Gefahr war? Was für eine verdammte ScheiÃe! In Anbetracht seiner Situation kam es nicht infrage, die Cops einzuschalten. Selbst wenn er sich einmischte, ohne dass Rayne etwas davon mitbekam, machte er alles vielleicht nur noch schlimmer.
Zeit und Mühe. Das war es, was es ihn gekostet hatte, sich ein ruhiges Dasein zu erschaffen. Durch das Raster zu schlüpfen und an einem Ort zu leben, an dem er nicht mehr auf der Flucht sein musste. Was er besaÃ, war nicht viel, aber er lebte mit seinen Entscheidungen, weil sie nur ihn betrafen. Jetzt, wo er von Lucas und den anderen wusste, fühlte es sich falsch an, nur stummer Zuschauer zu sein. Aber wenn er sich einmischte, würden seine Probleme vielleicht dafür sorgen, dass diese Kinder, die es sowieso schon schlimm getroffen hatte, auf einer ganz neuen Ebene verletzt wurden.
Gabe wusste nicht, was er tun sollte. Nur eins war ihm klar. Er musste Rayne gehen lassen, auch wenn sie ihn für ein Arschloch halten würde, weil er ihr nicht half.
âIch könnte einen Chauffeur für mich und mein Bike brauchenâ, sagte sie leise und sanft. âSteht dein Angebot noch?â
Gabe hatte gar nicht gespürt, dass sie hinter ihm aufgetaucht war. Er konnte sich nicht umdrehen. Als er ihre Stimme hörte, schnellte sein Schuldbarometer in den roten Bereich.Wahrscheinlich hätte es ihm weniger wehgetan, wenn sie ihm von hinten einen Baseballschläger über den Schädel gezogen hätte.
âKlar.â Er schloss die Heckklappe des Trucks. âAlso, ich weiÃ, dass das keine groÃe Hilfe ist, aber â¦â Er warf ihr einen Schulterblick zu. â⦠es tut mir wirklich leid. Ich hoffe, du findest ihn.â
Rayne sagte nichts. Das musste sie auch gar nicht. Egal, was sie gesagt oder getan hätte â noch schlechter konnte er sich nicht fühlen.
Zentrum von L.A .
Eine Stunde später
Der dunkle Tunneleingang war in die Flanke eines von Ranken und Unkraut überwucherten Hügels gehauen. Wie ein düsteres Maul klaffte er weit auf, um die alten Bahnschienen zu schlucken, die in ihn hineinführten. Dieser Teil der Innenstadt von Los Angeles war einmal eine geschäftige Speicherstadt gewesen.
Jetzt war hier nicht mehr viel los. Und deswegen nutzten sie ihn.
âIch komme nach. Du nimmst Bennyâ, erklärte Rafe Santana, während er mit Kendra Walker den
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