Indigo (German Edition)
versteinerte, entspannte sich aber gleich wieder.
– Bitte, sagte sie leise und ließ ihn herein.
Auf der Kommode gleich neben der Tür stapelten sich Hüte in zunehmender Größe zu einem Turm, entsprechend dem über die Jahre offenbar stetig wachsenden Kopf ihres Besitzers. Menschliche Jahresringe.
Robert zog seine Schuhe aus.
Eine Katze schlief auf einem Fensterbrett und hob den Kopf, als der Fremdling an ihr vorbeiging.
Die Frau klopfte an eine Tür. Dahinter fiel im selben Augenblick etwas zu Boden, und man hörte das Fluchen eines Mannes.
Im Zimmer des Mathematiklehrers stand ein alter Overheadprojektor, wie ein im Sitzen schlafender Vogel-Strauß-Roboter.
– Hallo, sagte Robert.
– Guten Tag, antwortete der Mann.
Robert erkannte ihn sofort wieder. Der Lehrer allerdings hatte offensichtlich nicht die geringste Ahnung, wer vor ihm stand.
– Wie kann ich Ihnen helfen?, fragte er verwirrt und sah dabei seine Frau an.
– Mein Name ist Robert Tätzel, Herr Setz. Erinnern Sie sich?
Das Gesicht des Mannes fiel herunter, als hätte er einen doppelseitigen Schlaganfall.
– Ja, sagte er. Doch, natürlich. Wie geht es Ihnen jetzt? Was machen Sie so?
Dass der Lehrer ihn siezte, verwirrte Robert. Er versuchte, sich auf die Formulierungen zu konzentrieren, mit denen er erklären wollte, warum er gekommen war. Aber alles, was er sah, wenn er in sich hineinblickte, war ein Glas Milch, von dem ein eigenartiger Lichtschimmer ausging. Cordula. Und der unangenehme Mann im Bankfoyer. Dann fiel ihm ein, dass der Lehrer nach seinem beruflichen Werdegang gefragt hatte. Er holte ein paar Postkarten aus der Innentasche seines Mantels, auf die er einige seiner Bilder hatte drucken lassen, darunter auch das preisgekrönte Bild mit dem Titel M.
Der Lehrer hielt sie sich interessiert vors Gesicht.
Dann erschrak er und schaute sich hilfesuchend nach seiner Frau um. Er nahm seine Brille ab und tat so, als betrachte er weiter die Bilder. Aber an seinem Blick konnte Robert sehen, dass er durch die Postkarten hindurchschaute. Sein Fokus war weit eingestellt.
– Sehr interessant, sagte der Lehrer. Und was führt Sie zu mir, Herr Tätzel?
Robert nahm ihm die Postkarten ab und steckte sie wieder ein.
Er hatte bemerkt, dass die Hände des Mathelehrers zitterten.
– Ja, ich wollte Sie auch nicht weiter belästigen, sagte Robert. Jetzt, wo Sie so viel hinter sich haben. Ich meine, ich will gleich zu Beginn sagen, dass ich immer von Ihrer Unschuld überzeugt war. Ich hab auch etwas mitgebracht … zum Signieren …
Er hielt das Buch in die Höhe. Der Lehrer setzte seine Brille wieder auf. Er schüttelte den Kopf.
– Ich kann mich nicht konzentrieren, murmelte er.
Er tastete an sich herum, als suche er ein Feuerzeug.
– Meine Brille, meine Brille …
Seine Frau kam auf ihn zu und zeigte ihm, dass die Brille mitten in seinem Gesicht hockte.
– Ah, sagte er.
– Hast du gehört?, fragte ihn seine Frau sanft. Er hätte gern, dass du ihm das Buch signierst.
Der Mann hob den Kopf:
– Was?
– Ich …, sagte Robert und zog blindlings die erste Formulierung aus dem Fischteich, die er zu fassen bekam, ich hab vor Kurzem einen Preis bekommen. Für ein Gemälde.
Dann ging ihm einfach die Luft aus. Er atmete ein, aus, in diesem Zimmer herrschte eine eigenartige Atmosphäre. Es war dumm gewesen herzukommen.
– Ja, und, wie geht’s jetzt weiter?, fragte der Lehrer.
– Wird alles gut, sagte die Frau und strich ihm über den Kopf.
– Hat er meine Bücher gelesen?, fragte der Lehrer.
Die Frau schaute Robert fragend an.
Er nickte.
– Na! Oh!
Den Lehrer schien das zu freuen.
– Ich wollte mit Ihnen sprechen über …
– Und jetzt möchten Sie etwas für mich tun?
– Äh, na ja, Herr Setz, sagte Robert, ich bin eigentlich gekommen, um Sie etwas zu fragen. Ich war vor Kurzem bei einer Preisverleihung, und da hat mich ein Mann angesprochen, und er hat gesagt, dass er Sie kennt. Und dass Sie irgendetwas damit zu tun hatten, äh, was weiß ich …
– Ich weiß nicht, sagte der Lehrer zu seiner Frau.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter. Roberts Verstand begann zu flattern. Er schaute in das mit der Situation überforderte Gesicht des Lehrers und suchte nach einem Wort, mit dem er zu ihm durchdringen konnte. Er fand es.
– Ferenc, sagte er. Interferenz. Sagt Ihnen der Name etwas?
Während des fast eine Minute dauernden Schweigens hörteman im Zimmer nur das Sirren mehrerer Gelsen.
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