Indigo (German Edition)
Flasche Mineralwasser. Der iBall in der Konditorei eierte sonderbar im Kreis.
Immer noch war ihm kalt, also beschloss er, die letzten paar Häuserblocks zu laufen. Es war nicht weit, außerdem wollte er jetzt alles so schnell wie möglich hinter sich bringen. Als er nach einigen Schritten stehen blieb, da ihm die Flasche aus der Manteltasche gefallen war und er sie unter einem Auto hervorholen musste, bemerkte er, dass in einiger Entfernung hinter ihm ein Mann auf dem Gehsteig stand, schwer atmend, als wäre er ebenfalls gerannt, die Hände auf seine Knie gestützt, ihn betrachtend.
Robert wischte die Mineralwasserflasche an seinem Mantel ab, steckte sie ein und ging langsam weiter.
Er drehte sich um. Der Mann stand noch immer da.
Robert ging ein bisschen schneller, es war nicht mehr weit, er ging mit leicht zur Seite gedrehtem Kopf, damit er jedes verdächtige Geräusch hören konnte, nicht mehr weit, gleich da vorne musste es sein – aber da waren plötzlich Schritte, schnellere als seine, die sich ihm von hinten näherten. Er drehte sich um und sah den Mann. Er lief humpelnd, aber er lief. Auf ihn zu. Und in seiner Hand hielt er einen Strauß langstieliger Blumen.
Als er losrannte, fiel Robert die Flasche erneut auf den Gehsteig, aber diesmal blieb er nicht stehen, sondern lief einfach weiter. Er schaute sich kurz um, sah, dass sein Verfolger die Flasche aufhob und hochhielt. Scheiße. Robert duckte sich hinter ein kleines Trafikhäuschen. Er schaute um die Ecke. Der Mann schien wieder vollkommen außer Atem zu sein, er stand da, den Mund weit geöffnet, und setzte sich erst wieder in Bewegung, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte und sein Brustkorb sich weniger dramatisch hob und senkte als zuvor. Es war ein recht alter Mann. Wie lächerlich, von einem so alten, konditionsschwachen Typ verfolgt zu werden.
Robert wagte sich hinter dem Trafikhäuschen hervor, und als er sich umblickte, sah er, dass sich auch der Alte auf der anderen Straßenseite wieder in Bewegung gesetzt hatte. Allerdings schien er ihn jetzt nicht zu bemerken, er blickte ganz woanders hin. Robert beschleunigte seine Schritte und versuchte gleichzeitig, unsichtbar zu wirken, aber dann überquerte der Mann plötzlich die Straße. Robert sprang über die flatternde Absperrleine einer Baustelle, ein Kamera-Zyklopenauge an der Stirn eines großen LKW zwinkerte ihm zu, er lief an einem Zaun vorbei, hinter dem ihn ein Hund ein paar Meter bellend begleitete, als brüllte er ihm Durchhalteparolen hinterher. Lächerlich, lächerlich, dachte er im Zweiertakt seiner Schritte. Warum lief jemand hinter ihm her? Im Grunde könnte er einfach stehenbleiben und den Mann fragen, was er wollte. Wahrscheinlich würde der Alte dann einfach an ihm vorbeirennen, als wäre Robert eine Litfaßsäule. Er blickte über die Schulter zurück und sah den Mann mit dem Blumenstrauß am Ende der Straße. Er konnte nicht erkennen, ob der andere ihn ansah, jedenfalls rannte er wieder los, Robert ebenfalls. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Und einen verdammten Ohrwurm hatte ihm das dumme Lied auch verpasst, stop the rock, und in seinem Kopf verwandelte es sich in the funk soul brother, check it out now, the funk soul brother, alles derselbe Neunziger-Tanzmusikdreck, diese ewigen Wiederholungen.
Er hatte den Mann abgehängt.
Schnaufend versuchte er sich zu orientieren. Er zog sein Handy aus der Tasche, sah am Display, dass ein iBall gleich um die Ecke war. Bevor er vor ihn trat, ordnete er seine Kleidung und kontrollierte seine Frisur im Spiegel einer dunklen Autofensterscheibe.
Unter dem Klingelschild stand, in krakeligen Blockbuchstaben, SETZ. Robert klingelte, eine aufsteigende Melodie, aus irgendeiner Oper, Cordula hatte sie manchmal in ihrem Kopfpolster abgespielt. Eine Frau öffnete die Tür.
– Bitte?
– Ja, guten Tag, sagte Robert. Ich wollte zu Herrn Setz.
– Oh, also … Meinem Mann geht es nicht gut.
– Ich bin extra den Weg von …
– Er kann im Augenblick keine Besuche empfangen.
– Aber … Es wäre sehr wichtig für mich, ihn zu sehen. Ich hab auch ein Buch mitgebracht, hier.
Er nahm das Buch, das er von Frau Rabl geliehen hatte, aus der Tasche und hielt es der Frau hin. Diese beugte sich nach vorne, um das Cover zu entziffern.
– Sind Sie ein Journalist?, fragte sie.
– Nein. Ein früherer Schüler von ihm.
– Ah, ach so. Vom Oeversee-Gymnasium. Welcher Jahrgang?
– Nein, von der Helianau.
Das hübsche Gesicht der Frau
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