Indigo (German Edition)
ja.
Robert nahm das Haus in die Hand.
– Weiß nicht, murmelte er.
– Ist okay, wiederholte Cordula und machte eine auffordernde Geste. Mach’s kaputt. Dann geht’s dir jedes Mal besser. Löst die Starre.
Er hatte noch niemals in seinem Leben auf Holz gebissen, zumindest nicht auf Streichhölzer. Aber als er das kleine, von seiner Freundin gebaute Häuschen zerkaute (vielleicht hätten die Fingerknochen von Arno Golch auch so gekracht und gesplittert, wenn er auf sie gebissen hätte …) und dabei ihren überraschten, aber immer noch beherrschten und mütterlichen Blick wahrnahm, fand er allmählich zurück zu einem Ort im Sonnensystem, wo man seine Stimme hören konnte.
– Mich hat so ein Typ angesprochen, sagte er.
Er kaute. Spuckte die Splitter des Wut-Hauses aus. Tätschelte abwesend Cordulas Schulter und murmelte ein leises Danke.
– Bei der Preisverleihung?
– War wahrscheinlich betrunken. Was weiß ich.
Wir müssen auf der Hut sein, Robin, dass wir uns nicht selbst belügen. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.
– Hat er … irgendwas Gemeines gesagt …? So wie der Sohn von der Frau Rabl?
Max Schaufler. Woher …?
Robert war nicht gut im Weinen. Es lag ihm nicht. Er kannteviele Leute, die richtig gut darin waren, die einem wirklich was vorweinen konnten, eine ganze Geschichte, eine Etüde von Chopin, einen Gesellschaftsvertrag, einen Karrieresprung. Aber er konnte das nicht. Hatte es nie gelernt. Sein Gesicht lief jedes Mal einfach auseinander, wie Kontinentaldrift, und die einzelnen Teile taten, was sie wollten.
– Ach, Robert, nicht doch, das war doch nur ein … (ein zehntelsekundenlanges Zögern, da sie ja nichts wusste, sie musste raten) … ein blödes, intolerantes Arschloch, das irgendwas gesagt hat … Nein, nicht weinen, komm …
5 Die Quincunx
Auf dem Fußballplatz wuchs das Gras kniehoch, man hatte es länger nicht gemäht. Ich fragte den Direktor danach, und er zuckte nur mit den Achseln und meinte, im Sommer werde hier auf alle Fälle wieder gespielt werden. Auf der großen Wiese neben dem Sportplatz standen einige Bäume, die gerade zu blühen begannen. Zwischen ihnen bewegte sich eine schmächtige Gestalt mit seltsam zackigen und unregelmäßigen Schritten. Der Direktor blieb stehen und wies auch mich an, nicht weiterzugehen. Er beschirmte die Augen mit beiden Händen, dann pfiff er, indem er zwei Finger in den Mund steckte. Die Gestalt, ein Junge, der etwas mit sich herumschleppte, das wie ein leerer Vogelkäfig aussah, antwortete mit einem ähnlichen Pfiff. Im Gesicht des Direktors lag eine gewisse Anspannung, aber auch eine ehrliche Aufgeregtheit, als freue er sich über die bevorstehende Begegnung.
– Max!, rief er und winkte den Jungen in unsere Richtung.
– Ist er …?
Der Direktor wandte sich zu mir und nickte.
– Ja, er ist von hier. Ein wirklich lieber Junge. Einer unserer Hoffnungsträger! Seine Eltern sind auch ungeheuer nett. Seinem Vater gehört die Papierfabrik oben in … Ja, Max, hallo!
– Guten Morgen!, rief der Junge und blieb in etwa zehn Metern Entfernung stehen.
Der Direktor ging auf ihn zu, der Junge wich zuerst ein wenig zurück, dann verstand er und streckte die Hand aus, so dass sie der Direktor schütteln konnte.
– Kommen Sie nur, winkte er mich näher. Er beißt nicht, haha!
Der Junge namens Max streckte mir die Hand entgegen, und als ich sie nahm, stellte ich fest, dass sie eiskalt war. Wahrscheinlich war er nervös.
– Wir bleiben ein paar Minuten, sagte der Direktor mit einemfreundlichen Lächeln in meine Richtung. So, ja, Max, das ist der Herr Seitz, er wird hier …
Er machte eine Geste, die wohl signalisieren sollte, ich möge bitte den Satz beenden.
– Ich mache hier mein Unterrichtspraktikum.
Der Junge nickte. Er stellte den leeren Vogelkäfig im Gras ab.
– Ja, sagte der Direktor eifrig. Er wird den Professor Ungar vertreten.
– Mhm, sagte Max.
Ein Tic riss ihm die Hand hoch, und er hielt sie sich mit der Rückseite an die Lippen. Dann wischte er sich dreimal hintereinander mit der exakt gleichen Bewegung eine imaginäre Haarsträhne aus der Stirn.
Ich wusste, dass ich etwas fragen sollte. Wie geht es dir so? Wohnst du gern hier? Welche Probleme gibt es im Alltag? Wie verhalten sich die Lehrer dir gegenüber? Stattdessen sagte ich:
– Warm heute, oder?
– Ja, es wird langsam wieder etwas wärmer, sagte der Direktor. Max, du bist auf dem Weg
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