Indigosommer
»Vielleicht stehe ich einfach nicht auf Vampire. Ein Kaltblüter im Bett – igitt.«
Wir kicherten.
»Irgendwie ist es komisch, ein Buch zu lesen, das dort spielt, wo man gerade ist. Ob die Quileute heute immer noch glauben, dass ihre Vorfahren sich in Wölfe verwandeln konnten?«
»Ich denke schon. Jedenfalls stand so etwas in dem Buch, das ich gestern in der Bibliothek gelesen habe.«
»Mark sagt, er kann die Indianer verstehen. Ich meine, dass sie uns hier nicht haben wollen. Er ist ja selbst so etwas wie ein halber Ureinwohner.«
Ich legte mein Handbuch zur Seite. »Du magst ihn, nicht wahr?«
»Ja«, sagte sie schlicht. »Schon lange.«
»Na ja, wie es aussieht, mag er dich auch.«
Janice lächelte. »Wenn er es mir doch nur ein bisschen deutlicher zeigen würde. Ich bin mir nie sicher, woran ich bei ihm bin. Eine Zeit lang dachte ich, er wäre schwul.«
»Vielleicht ist er einfach nur schüchtern«, sagte ich mit einem Kichern in der Stimme.
»Ziemlich schüchtern, würde ich sagen. Er hat mich noch nicht mal geküsst.«
»Hey«, sagte ich, »Vorfreude ist die schönste Freude.«
Janice grinste. »Und was ist mit dir und Josh?«
Ich machte große Augen.
»Na, er steht total auf dich. Hast du das etwa noch nicht gemerkt?«
»Doch, irgendwie schon. Ich mag ihn ja auch gern. Ich weiß nur noch nicht, ob ich schon wieder so weit bin, etwas Neues anzufangen.« Zum ersten Mal erzählte ich Janice von Sebastian und dass er mich verlassen hatte, als er erfuhr, dass ich nach Seattle gehen würde.
»Was für eine Niete«, sagte sie. »Wein dem bloß nicht hinterher, er ist es nicht wert.«
»Na ja, wehgetan hat es trotzdem. Eine Weile war ich ganz schön durch den Wind. Immerhin waren wir sieben Monate lang zusammen.«
»Hast du mit ihm geschlafen?«
»Nein. Nur beinahe.«
»Beinahe?«
»Ich wollte, dass er das mit Seattle weiß, bevor wir es tun. Und dann war es aus.«
»Blödmann«, sagte sie.
»Ja, Blödmann.« Ich musste lachen und merkte, dass es nicht mehr wehtat. Ich war darüber hinweg.
»Wusstest du, dass ich mal unsterblich in deinen Bruder verliebt war?«, verriet ich Janice.
»Echt?«
»Ja, damals in Berlin.«
Janice kullerte sich vor Lachen auf ihrem Schlafsack. »Na ja, er war ja auch ein süßer Knopf.«
»Das ist er noch«, sagte ich. »Aber jetzt weiß er es.«
»Och, mein armer Alec tut mir echt leid. Brandee wacht über ihn wie ein Schießhund«, sagte Janice mit verhaltener Stimme.
»Kanntest du sie schon vorher?«
»Nee. Soweit ich weiß, ist sie mitten im letzten Semester ans ›Pacific Oaks‹ gekommen. Ihre Eltern sind geschieden und sie lebt bei ihrem Vater. Ich glaube, er war mal ein hohes Tier bei der NATO und sie viel allein. Da hat sie sich eben ihre eigene Welt geschaffen. Ihr Dad ist in den Ruhestand gegangen, des halb sind sie von New York nach Seattle gezogen. Ich glaube, er ist schon ziemlich alt.«
Janice setzte sich in den Schneidersitz. »Fest steht, dass Alec vorher noch nichts mit ihr laufen hatte, zumindest nicht so richtig. Vermutlich wollte Brandee deshalb unbedingt mit, obwohl sie ja ganz offensichtlich kein Campingfreak ist. Sie wollte Alec und sie hat ihn bekommen. Mein Bruder ist leicht rumzukriegen.« Janice’ Stimme sank zu einem Flüstern. »Zugegeben, Brandee sieht toll aus, aber ein bisschen merkwürdig ist sie schon, findest du nicht? Manchmal scheint sie ihre Lügenmärchen selbst zu glauben, die sie uns da auftischt. Na ja, vielleicht muss das so sein, wenn man Schauspielerin werden will.«
»Was glaubst du? Liebt Alec sie?«
»Er steht auf ihre geile Art, das ist alles.«
»Ich glaube, sie hasst mich«, sagte ich.
»Ach, Brandee hasst jedes weibliche Wesen, dem mein Bruderherz auch nur einen Funken Aufmerksamkeit schenkt. Mach dir nichts draus.«
»Ich versuch’s«, sagte ich. »Aber wenn ich eines Tages abgemurkst hinter der großen Wurzel liege, dann war sie es.«
Janice prustete schnaubend los und ich lachte mit. Auf einmal rüttelte jemand am Zelt.
»He, ihr Kichererbsen«, hörte ich Josh sagen, »es hat aufgehört zu regnen, kommt raus.«
Das Wetter hatte sich tatsächlich gebessert und so vertrödelten wir den Nachmittag am Strand. Joshs Gettoblaster verpestete die Luft mit wilden Klängen. Die Sonne schaffte es nicht mehr, durch die Wolkendecke zu dringen, aber als am späten Nachmittag die Wellen hereinkamen, standen alle wieder auf ihren Brettern, ich eingeschlossen. Nur dass bei mir die Sache mit dem Stehen nicht
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