Indigosommer
lassen.
»Echt?«, fragte Kyle, einer der Jungen. »Eigentlich hab ich gehört, dass die Quileute Gästen gegenüber aufgeschlossen sind?«
»Dann hast du was Falsches gehört«, mischte sich Brandee ein. »Ich kann euch nur raten, eure Surfbretter nicht aus den Augen zu lassen. If you are brown, go to town. If you are white, take a flight«, fügte sie sie sarkastisch hinzu.
Blöde Kuh, dachte ich. Halt bloß den Mund.
Brandee warf ihre Haare hinter die Schultern zurück und ich sah den riesigen Knutschfleck an ihrem Hals.
»Und was ist mit Haien?«, fragte Kyle etwas verunsichert.
Alec lachte. »Das ist vermutlich nichts weiter als ein Trick der Einheimischen, um uns fernzuhalten.«
Kyle schien ehrlich erstaunt. »Hier gibt es Locals?«
»Nein, keine einheimischen Surfer. Ich meine die Leute aus La Push, die Indianer.«
Man fachsimpelte miteinander, die Portländer bewunderten Marks Longboard, und als gegen Abend der Swell groß genug war, um die Wellen brechen zu lassen, tummelten sich alle mit ihren Brettern im Wasser. Auch ich wagte mich wieder hinein.
Doch ich ließ mich nur ein einziges Mal von einer Welle zum Strand tragen, dann setzte ich mich draußen in den Sand. Josh kam nach einer Weile zu mir und fragte besorgt: »Was ist denn los? Hast du dir wehgetan?«
»Meine Fangleine ist gerissen«, sagte ich und zeigte ihm die losen Enden.
»Scheiße, zeig mal her.« Er begutachtete die gerissene Leine und meinte: »Irgendwer hat bestimmt eine Ersatzleine dabei, frag doch mal rum. Ansonsten müssen wir noch mal nach Forks fahren, in den Surf-Shop. Der Typ dort ist cool, er hat alles da.«
Er ging wieder ins Wasser und ich blieb sitzen, um den anderen noch eine Weile zuzusehen. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie oft Brandee vom Brett stürzte. Sie wollte gut sein, sie wollte mit den anderen mithalten, aber sie war bei Weitem nicht so locker wie Laura und selbst Janice, die ja deutlich weniger Erfahrung hatte als die anderen, sah nicht so verkrampft aus. Brandee dagegen kämpfte verbissen mit den Wellen, was ihr immer wieder unangenehme Waschgänge bescherte.
Irgendwann wurde es kühl und ich ging zurück ins Camp, um mich umzuziehen.
An diesem Abend saßen die Surfer aus Portland mit an unserem Feuer. Dicht an dicht hockten wir auf den Stämmen beieinander. Es floss reichlich Alkohol und wieder machten mehrere Joints die Runde. Diesmal kam das Gras von unseren Gästen.
Sie alle waren leidenschaftliche Wellenreiter und so drehten sich die Gespräche fast ausschließlich ums Surfen. Brandee erzählte von ihrem Urlaub auf Hawaii, wo sie (angeblich) beim Big-Wave-Surfen in Waimea Bay mitgemacht hatte. Dort war sie auch Kelly Slater begegnet.
Josh, der neben mir saß, klärte mich flüsternd auf. »Slater ist der berühmteste Surfer der Welt. Er hat mit acht Jahren begonnen zu surfen und ist inzwischen neunfacher Weltmeister.«
Die Portländer waren schwer beeindruckt und Brandee sonnte sich in ihrer Bewunderung, aber ich erinnerte mich an ihre Waschgänge und konnte mir nur schwer vorstellen, dass stimmte, was sie uns da erzählte.
Auch Marks Blick war skeptisch, aber er sagte nichts. Mark war jedes Jahr mehrmals auf Hawaii, um seine Großeltern zu besuchen, und mit Sicherheit kannte er die Wellen von Waimea Bay. Aber im Gegensatz zu Brandee war er niemand, der Freude daran hatte, andere bloßzustellen.
Nachdem Brandee ihren Auftritt gehabt hatte, lenkte Alec das Gespräch mit erstaunlichem Geschick wieder zurück in einheimische Gefilde. Einer der Portland-Jungs klinkte sich sofort ein. Er war im vergangenen Jahr Zuschauer beim Mavericks Surf Contest in Kalifornien gewesen. Dort fand jedes Jahr zwischen Dezember und März ein Wettkampf der vierundzwanzig weltbesten Surfer statt.
»Am Pillar Point in der Half Moon Bay können die Wellen bis zu fünfzehn Meter hoch werden«, sagte der Junge. »Das ist tierisch abgefuckt.«
Tierisch abgefuckt? Wer redet denn heute noch so?, dachte ich. Ich versuchte, mir die fünfzehn Meter hohen Wellen vorzustellen, aber es wollte mir nicht gelingen. Ich hatte immer noch damit zu tun, mein Unterwasserabenteuer von heute Mittag zu verdauen. Erleichtert hatte ich festgestellt, dass ich danach keine Angst hatte, wieder ins Wasser zu gehen. Und noch erleichterter war ich darüber, dass Laura Wort gehalten und niemandem erzählt hatte, dass ich allein mit dem Brett auf dem Meer gewesen war. Denn eine der wichtigsten Surferregeln lautete: Geh nur ins Meer, wenn jemand
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