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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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seine Verfolger abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht. Deshalb verwandelte er sie in Menschen. Das war genau hier, an der Mündung des Quillayute River. K’wati sagte zu den beiden: ›Ihr sollt mutig und stark sein, weil ihr von Wölfen abstammt.‹«
    »Dann ist dieser K’wati also euer Schöpfer, so eine Art Gott, und dein Volk verehrt ihn?«, fragte ich.
    Conrad schüttelte amüsiert den Kopf. »Wir verehren kein kahles kleines Männchen. K’wati ist einfach ein Teil unserer Ordnung. Er konnte die Menschen auch wieder in Tiere verwandeln, wenn er das wollte. Zum Beispiel erfand er den Hirsch, in dem er einem Mann einen Zweig auf den Kopf setzte. Oder den Biber, indem er ihm ein Muschelmesser an den Hintern klemmte.«
    Ich grinste vor mich hin und mir wurde bewusst, dass mein Zorn verraucht war. Tamra und das Baby waren mir plötzlich egal. Alles außer Conrad war mir egal. Es gibt Momente, die so wichtig sind, dass man sie nie vergisst. Das war so ein Moment. Conrad und ich in dieser Nacht am Strand, wie er mir die Geschichte seiner Vorfahren erzählte. Ich war so glücklich, dass das ganze Glück mir beinahe die Brust sprengte.
    »Früher, in der Welt meiner Vorfahren, waren Menschen und Tiere sich ähnlicher, sie konnten ihre Gestalt wechseln und sie kommunizierten miteinander«, fuhr er fort. »Mein Urgroßvater Qwyabe verstand noch die Sprache der Tiere. Er konnte mit Wolf, Adler und Orca sprechen.« Conrad seufzte. »Manchmal wünschte ich, ich hätte in den alten Zeiten gelebt.«
    »Dann könntest du dich jetzt in einen Wolf verwandeln«, bemerkte ich und ein Schauer rann über meinen Rücken.
    »Wer sagt, dass ich das nicht kann?«, erwiderte er und seine Eckzähne blitzten, als er lächelte. Ich erwartete jeden Augenblick, dass er den Mond anheulte.
    Wir waren am Ende des Strandes angelangt und auf einmal standen wir in verlegenem Schweigen da. Mich fröstelte und meine Zähne begannen zu klappern.
    »Kalt?«, fragte Conrad.
    »Ein bisschen.«
    Er zog seine Sweatshirtjacke aus und legte sie um meine Schultern. Conrad ließ die Jacke nicht los, er hielt mich darin gefangen. Langsam zog er mich zu sich heran, beugte sich herunter und küsste mich, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Seine Lippen schmeckten leicht nach Salz und seine Zunge erforschte vorsichtig meinen Mund. Ich konnte Conrads Lippen und seinen Herzschlag spüren. Die kühle Dunkelheit in seinem Haar. Mein Kopf war voller Sterne, meine Glieder schienen flüssig zu werden und der Sandboden unter mir summte.
    Doch als Conrads Hände unter mein T-Shirt strebten, drückte ich ihn ein Stück von mir fort. Ich hatte vergessen zu atmen, jetzt holte ich geräuschvoll Luft.
    »Was hast du denn?«, fragte er.
    »Das hat doch keinen Sinn«, flüsterte ich und schlang die Arme um mich. Der magische Moment war vorbei. Das Letzte, was ich wollte, war, mich zwischen einen jungen Vater und seine Familie drängen.
    Conrad streckte die Hand aus. Sein Daumen berührte sanft meine Lippe. »Der Sinn ist, dass es passiert, Smilla.«
    »Und was ist mit Tamra und deinem Kind?«, stieß ich hervor.
    Er ließ den Arm sinken. Einen Moment stand er einfach nur schweigend da. »Kayad ist nicht mein Sohn«, sagte Conrad schließlich.
    »Nicht?«
    »Nein.«
    Ich sah ihn abwartend an. Conrad zögerte. Er schien zu überlegen, ob er mir diese Tür öffnen sollte. Plötzlich gab er nach und ließ mich herein.
    »Kayad ist der Sohn meines Bruders.«
    »Du hast einen Bruder?«, fragte ich überrascht. Einen Bruder, den er noch nicht ein einziges Mal erwähnt hatte. Ich dachte an das Kerlchen, dem ich die fünf Dollar gegeben hatte, aber der Junge war höchstens dreizehn gewesen.
    Conrad ließ meine Hand los und schob seine Hände in die Hosentaschen. »Ich hatte einen. Er starb letzten Sommer.«
    Was er sagte, nahm mir fast den Atem. Ich spürte die Trauer, die von ihm ausging – und nicht nur die. Da war etwas in ihm, das mir Angst machte. »Was ist passiert?«, fragte ich bestürzt. Eine weit ausholende Welle erwischte uns. Wir bekamen nasse Füße, aber wir blieben beide stehen, wo wir waren.
    »Er ist ertrunken.« Conrad deutete mit dem Kopf auf das nachtschwarze Ungeheuer zu unserer Rechten, das die Dunkelheit anzusaugen schien. »Der Pazifik gibt, aber er nimmt auch. Er hat schon viele aus unserem Volk in seine Tiefen gezogen und nicht wieder hergeben.« Er begann loszulaufen.
    »Das tut mir so leid«, flüsterte ich, während die Gedanken durch

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