Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
meinen Kopf wirbelten. Auf einmal hatte ich das Gefühl, vieles zu verstehen, und gleichzeitig tauchten immer neue Fragen auf.
    »Du hast deinen Bruder noch kein einziges Mal erwähnt. Warum sprichst du nicht von ihm?«
    »Weil ich das noch nicht kann.«
    Das musste ich wohl oder übel akzeptieren. An dieser Wunde wollte ich nicht rühren. Aber da gab es noch etwas anderes oder besser noch jemanden, über den wir sprechen mussten. »Also ist Tamras Sohn das Kind deines Bruders?«
    »Ja.«
    »Liebst du sie?«
    »Nein.« Conrad senkte den Kopf und stieß mit der Schuhspitze einen Styroporbecher beiseite, der von der Welle angespült worden war. »Wir schlafen nur ab und zu miteinander.«
    Ich schwieg einige Herzschläge lang. »Und was willst du dann mit mir?«, fragte ich schließlich.
    Statt einer Antwort umarmte Conrad mich einfach. Vielleicht hatte er keine. Oder sein Kuss war eine vorweggenommene Antwort auf meine Frage gewesen. Vielleicht war ich tatsächlich naiv und hatte von einer Menge Dinge keine Ahnung. Aber in meiner Welt konnte ich nicht mit einem Jungen, den ich liebte, zusammen sein, wenn er noch mit einer anderen schlief.
    Und irgendwie schien Conrad das zu verstehen, auch ohne dass ich es ihm sagen musste. Er brachte mich noch bis zu dem Stamm zurück, auf dem meine Sachen lagen. Ich gab ihm seine Shirtjacke wieder und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Er hielt mich dabei sehr fest, doch ich machte mich los und lief zurück ins Camp.
    Die anderen saßen immer noch in ausgelassener Stimmung am Feuer und das Bier floss in Strömen.
    »War wieder Rushhour bei den Duschen?«, fragte Janice, als ich mich neben sie setzte.
    »Ja«, antwortete ich. »Aber jetzt nicht mehr.«
    Meine nassen Turnschuhe waren niemandem aufgefallen.
    Conrad sitzt auf dem großen Treibholzstamm, der schon hier am Strand lag, lange bevor er und sein Bruder geboren wurden. Er beobachtet das Meer und lauscht der steigenden Flut. Der fast volle Mond lässt die Brandung anschwellen.
    Conrad schlingt die Arme um seine angezogenen Knie. Er hat einen leichten Pfefferminzgeschmack von Zahnpasta im Mund, ein Überbleibsel des Kusses.
    Der Kuss . Warum hat er das getan: sie geküsst? Darauf gibt es keine Antwort, es ist einfach passiert. Sein Körper hat eine Entscheidung gefällt. Zum ersten Mal seit Justins Tod hat er das Gefühl, bei einem anderen Menschen Trost zu finden. In ihrer Aufrichtigkeit hat Smilla ihn etwas über sich selbst gelehrt: Er muss nur seine Gefühle zulassen, dann wird er auch wieder er selbst sein.
    Conrad greift sich einen Treibholzstock und läuft hinunter zum Strand. Mit dem Stock zeichnet er Buchstaben in den Sand, die zu einem Namen werden: SMILLA.
    Auf einmal hört er das nächtliche Geschrei eines Seehundes. Conrad sucht das Meer ab. Die Wellen fangen das Mondlicht ein. Und da entdeckt er den schwarzen Kopf, hört wieder die Rufe der Robbe und sieht sie auf den Wellen reiten, ein einsamer Surfer in der Nacht.
    Das kann nicht sein, denkt er sich. Oder doch?

16. Kapitel
    N icht nach Conrad zu suchen, kostete mich große Überwindung. Er nahm so viel Raum in mir ein. Alle meine Gedanken und Gefühle kreisten um ihn. Darum, dass ich in ihn verliebt war. Darum, dass er mit mir schlafen wollte. Dass ich das auch wollte. Dass mein Verstand sagte: Lass es bleiben, Smilla, du wirst in ein paar Tagen weg sein und ihn nie wiedersehen. Dass mein Herz sagte: Mit ihm und keinem anderen wird es so schön sein, dass du es niemals vergisst.
    Doch wie schwierig es ist, jemanden aus einer anderen Welt zu lieben, sollte ich erst noch erfahren.
    Ich blieb den ganzen Tag im Camp und war nett zu allen, auch zu Josh. Ich hoffte, ihn damit nicht zu ermutigen, doch ich musste irgendwie auf den Boden der Tatsachen zurückgelangen.
    Später, am abendlichen Feuer, da hatte ich das Gefühl, als würden die Stimmen der anderen und ihr Gelächter immer weiter in die Ferne verschwinden. Es fühlte sich genauso an wie damals, als ich mir einmal ganz fürchterlich den Kopf an einer offenen Schranktür gestoßen hatte und danach einer Ohnmacht nahe gewesen war. Meine Mutter hatte besorgt auf mich eingeredet und ihre Stimme war immer leiser geworden, als würde ich mich von ihr entfernen oder sie sich von mir. Ich wurde nicht ohnmächtig und die Stimme meiner Mutter kam wieder zurück.
    Auch jetzt wurden die Stimmen der anderen wieder laut. Wie immer riss Josh kindische Witze und machte seine Faxen – und alle lachten darüber. Mark und

Weitere Kostenlose Bücher