Indigosommer
Gesichter der anderen. Keine Ahnung, was ich von ihnen erwartet hatte. Vielleicht, dass jemand sagte: Halt endlich den Mund, Josh, und lass sie in Frieden. Aber nicht einmal Mark meldete sich zu Wort.
»Es gibt tatsächlich etwas, das ich nicht wahrhaben wollte«, sagte ich mit fester Stimme in die Runde. »Conrad ist der Meinung, ihr seid ein erbärmlicher Haufen. Ich habe euch immer verteidigt. Aber jetzt weiß ich, dass er recht hat.« Nun war es raus. Allerdings fühlte ich mich dadurch kein bisschen besser. Ich wollte nur noch weg von ihnen. Irgendwohin.
Josh klatschte lässig Applaus.
Ich drehte mich um und lief los.
19. Kapitel
E he ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte, fand ich mich auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt wieder. Von dort lief ich weiter auf die Hauptstraße und ging in Richtung Ort. Etwas lenkte meine Schritte, als wäre ich ferngesteuert. Ferngesteuert von der großen Sehnsucht, in den Arm genommen und getröstet zu werden. Ein Wunsch, der bald unerträglich wurde. Ich blieb erst stehen, als ich vor dem blauen Haus mit dem Totempfahl stand.
Im Inneren des Hauses brannte Licht. Conrads Pickup stand unter einer Laterne, dahinter parkte ein zweiter Pickup, dessen Blech mit einem hellen Funkenregen verziert war. Irgendjemand war zu Besuch, aber das war mir egal. Ich wollte nicht zurück ins Camp. Nicht heute Nacht.
Entschlossen drückte ich auf den Klingelknopf.
Es dauerte eine Weile, bevor die Tür sich öffnete und Conrad erschien. In seinen zerschlissenen Levis und einem schwarzen Unterhemd, das lose an seinem Körper hing, stand er in der Tür und blickte mich überrascht an. In seinen schwarzen Augen las ich Verwirrung und einen Anflug von Panik.
Schließlich fasste er sich und sagte: »Komm rein.«
Verunsichert folgte ich ihm ins Haus.
Eine männliche Stimme rief: »Ist das Tamra?«
Im nächsten Moment stand ich Milo gegenüber. Ungläubig starrte Conrads Freund mich an, unverhohlene Feindseligkeit in seinem Reptilienblick. »Ich fasse es nicht«, sagte er, »jetzt kommt sie auch noch hierher und du lässt sie rein.« Sein Blick schwenkte von mir zu Conrad. »Hast du keinen verdammten Funken Ehrgefühl im Leib?«, rief er aufgebracht. »Die Typen, mit denen sie zusammen ist, haben deinen Bruder auf dem Gewissen. Man lässt keine Scheiße ins eigene Heim, Mann! Besser, du hättest sie da draußen ertrinken lassen.«
Conrad lief rot an. »Sei still, Milo«, sagte er. Seine Nasenflügel bebten vor Zorn. Er warf mir einen kurzen, verzweifelten Blick zu.
Milo wies mit einer theatralischen Geste auf seine Brust. »Ich soll still sein? Du bist ein Verräter, Mann. Was ist mit Tamra und dem Kleinen? Was ist mit mir?«
»Ich bin nicht er, Milo.«
»Nein, das bist du nicht, bist du nie gewesen«, rief Milo mit beißender Verachtung in der Stimme. Er stieß Conrad wütend gegen die Schulter und der stolperte rücklings gegen die Spüle. Milo richtete den Zeigefinger auf ihn, als wolle er einen Bann über ihn aussprechen. »Dein Bruder war mein Freund. Du bist ein Stück Scheiße, mehr nicht.« Er lief an uns vorbei, spuckte mir vor die Füße und ich hörte die Haustür zuschlagen.
Ich hielt den Atem an und spürte, wie sich tief in meinem Bauch etwas schmerzhaft zusammenzog. Ich hatte keine Kraft mehr für solche Auftritte voller Hass und blinder Vorurteile. Ich war hergekommen, weil ich in den Arm genommen werden wollte. Weil ich hören wollte, dass alles in Ordnung kommen würde.
»Ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig«, sagte Conrad leise.
»Ja, ich denke, das bist du.«
»Gehen wir hoch auf den Balkon, okay? Ich kann hier drinnen nicht atmen.«
Mit zitternden Knien folgte ich Conrad die Stufen hinauf in sein Zimmer, das tatsächlich vollkommen entrümpelt und blitzsauber war. Auf seinem Bett lag ein bunter Quilt. Der Laptop auf seinem Schreibtisch war aufgeklappt, der Bildschirmschoner zauberte bunte Muster.
Ich trat hinter Conrad nach draußen und hörte, wie er einen tiefen Atemzug machte, so, als wäre er kurz vor dem Ertrinken gewesen. Es wehte ein leichter Wind, der den Salzduft des Meeres mit sich brachte. Die kühle Nachtluft tat uns beiden gut. Conrad stützte sich mit den Händen auf das Geländer. Seine Finger klammerten sich um den Holzlauf, als bräuchte er etwas, um sich daran festzuhalten. Er sagte nichts, anscheinend wusste er nicht, wie er beginnen sollte.
»Was haben Alec und seine Freunde mit deinem Bruder zu tun, Conrad?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher