Indigosommer
Ich machte einen Schritt auf Conrad zu und wollte ihm die Arme um den Hals legen. Doch er hielt mich an den Schultern zurück.
»Das ist noch nicht alles, Smilla.«
»Nicht alles?«, flüsterte ich entgeistert und machte mich von ihm los.
»Nein.«
Mein Blick traf seinen. Ich wollte hören, was Conrad zu sagen hatte, doch etwas in mir hatte Angst davor.
»Ich hätte dich beinahe ertrinken lassen.«
»Was?«, fragte ich verwirrt. »Das verstehe ich nicht. Du hast es doch geschafft. Du hast mich rausgeholt.«
»Ja. Aber zuerst habe ich darüber nachgedacht, dich ertrinken zu lassen.«
Mir schossen die Tränen in die Augen. Ich hatte das Gefühl, die Wellen würden erneut über meinem Kopf zusammenschlagen, und ich bekam keine Luft mehr. »Aber warum, Conrad?«, stieß ich hervor. »Ich hatte dir doch nichts getan.« Die Gedanken jagten in wildem Durcheinander in meinem Kopf herum.
»Ich dachte, du wärst ein Junge, einer von ihnen. Ich wollte Rache, ich...«Er verstummte und sah weg.
»Und warum hast du es dir anders überlegt?«, fragte ich im Flüsterton.
»Ich habe nicht überlegt. Ich musste dich einfach rausholen.«
Tränen liefen über mein Gesicht und ich wischte sie mit dem Handrücken weg. Ich musste erst einmal damit klarkommen, was Conrad mir da gerade offenbart hatte.
Er schwieg eine Weile, dann sagte er ganz sachlich: »Ich kann verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Wenn du möchtest, bringe ich dich zurück ins Camp.«
»Ich möchte nicht«, sagte ich.
»Verstehe.« Er schluckte. »Aber ich will dich nicht alleine im Dunkeln gehen lassen.«
»Ich will nicht gehen, Conrad. Ich möchte bei dir bleiben. Du hast gesagt, ich kann bei dir wohnen.«
Ruckartig hob er den Kopf und sah mich an.
Ich hielt mich am Geländer fest und lächelte.
Es braucht einen Moment, bis ihre Worte in sein Bewusstsein dringen. Ich möchte bei dir bleiben . Conrad blickt Smilla an und er fühlt ihr Lächeln in seinem Blut. Sie ist erschrocken, sie ist verletzt, aber sie hasst ihn nicht. Smilla glaubt an das Gute in jedem Menschen. Von Anfang an war sie so schlicht und normal, dass es ihn jedes Mal aufs Neue verwirrt. Conrad spürt, wie Erleichterung in ihm emporsteigt, sich in kleinen Wogen ausbreitet. Er ist so froh, dass er kein Wort herausbringt.
Nach allem, was geschehen ist, hat er zum ersten Mal wieder das Gefühl, dass alles gut wird. Dass er wieder ein Leben haben wird. Sein Leben. Er kommt sich vor wie ein Vogel, der aus seinem Käfig befreit wurde, aus dem Käfig seines Hasses.
Das Pulsieren in seiner Kehle ist wieder da. Conrad holt Smilla in seine Arme. Er nimmt ihren Kopf in beide Hände und küsst ihre Tränen fort. Dann zieht er sie in sein blitzblankes Zimmer, das schon seit Tagen auf sie wartet, und küsst sie wieder. Ihr Mund ist warm und weich und sie erwidert seinen Kuss. Ihre Augen erfüllen ihn immer noch mit Staunen und es fällt Conrad schwer, ihrem Blick standzuhalten, während sie ihm zusieht, wie er aus seinen Kleidern steigt.
Auf einmal ist Conrad so zittrig und nervös, als wäre er fünfzehn und Smilla sein erstes Mädchen. Wie lange ist das her, dass er so empfunden hat? Er weiß, dass sie ihm etwas Großartiges schenken wird, und das macht es nicht leichter für ihn.
Zwei Kleiderhäufchen auf dem Boden. Smillas Brust, rund und weich und schimmernd weiß wie Perlmutt, findet genau Platz in seiner Hand. Er spürt ein tiefes Vibrieren in jeder Faser seines Körpers und zieht sie aufs Bett.
Diese unvorstellbare Zärtlichkeit, der Aufruhr im ganzen Körper. Ich wusste nicht, was mich erwartete, aber ich wollte es, das wusste ich genau.
Conrad hatte keine Eile, er hatte gelernt zu warten. Genauso, wie er sonst auf den Atem des Meeres lauschte, um den richtigen Moment zu erspüren, lauschte er nun auf meinen Atem. Schwerelos trieb ich dahin. Conrads Zärtlichkeit trug mich wie eine Welle. Er war immer nah bei mir, aber ich fühlte mich nie von ihm bedrängt. Er ließ mir Zeit, seinen Körper kennenzulernen, nichts schien ihm peinlich zu sein.
Bis er irgendwann meine Hände festhielt und mit rauer Stimme sagte: »Smilla, ich glaube, lange geht das nicht mehr gut.« Er lächelte. »Ich kann nichts dafür, das bist du.«
Das war also der Moment. Conrad wandte sich kurz von mir ab und ich hörte, wie er die Kondompackung aufriss. Schwer und warm glitt sein Körper auf meinen und ich hielt mich an ihm fest. Verborgen im dunklen Zelt seiner Haare küsste Con rad
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