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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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schleudern?
    Der alte Händler Mohan lag im Sterben. Als das Ende sich näherte, wurde sein dahinsiechender Körper hinausgetragen, so daß seine Seele sich frei in die himmlischen Sphären aufschwingen konnte, wenn die Zeit kam. Er war ein reicher Mann mit einem großen Haushalt, und als der Morgen herandämmerte, jammerten viele Frauen über seinen bevorstehenden Tod.
    Doch die Frau, die am meisten Grund zum Kummer hatte, blieb stumm, denn ihre Angst war größer. Meera war Mohans zweite Frau, die Mohan teuer erworben hatte, damit sie ihm seinen Lebensabend verschönern sollte. Sie stammte aus einer gemischten Kaste und wäre niemals als erste Frau akzeptiert worden, doch sie war sehr schön, und das war alles, was von einer Konkubine verlangt wurde. Für drei Jahre war sie eine verwöhnte Braut gewesen. Und nun, im zarten Alter von siebzehn, würde sie einen schrecklichen Preis für die schönen Tage bezahlen müssen.
    Mohan stieß einen letzten bebenden Seufzer aus und hörte dann auf zu atmen. Das Wehklagen der Frauen wuchs zu einem nervenzerreißenden, ohrenbetäubenden Chor an, der den Tod des Herrn im ganzen Haus verkündete. Meera weinte um den Verlust Mohans und seine Freundlichkeit, doch sie weinte noch mehr um sich selbst, denn schon bald würde auch sie tot sein.
    Meera war, obwohl sie kaum eine Chance hatte, immer schon ein starrsinniges Kind gewesen, das ihre Mutter zur Verzweiflung treiben konnte. Und so würde sie auch jetzt um ihr Leben kämpfen. Als das Wehklagen langsam verebbte, kam Pushpa, die Frau von Mohans ältestem Sohn, und sagte mit falschem Bedauern: »Komm, Meera. Du mußt dich zur Sati fertigmachen.«
    Mit bebender, doch entschlossener Stimme erwiderte Meera: »Ich werde meinen Mann nicht auf den Scheiterhaufen begleiten.«
    Die Leute, die nah genug bei ihr standen, zogen entsetzt die Luft ein. Scharf sagte Pushpa: »Das mußt du. Dein Tod wird der Familie Ehre bringen. Dein
    Opfer wird Mohan von den Bürden, die seine Seele belasten, befreien.«
    »Mein Gemahl war ein guter Mann und braucht mein Opfer nicht«, erwiderte Meera rebellisch. »In diesem Augenblick ist er sicher schon im Himmel bei Ruppa, der Mutter seiner Söhne.«
    Pushpas Stimme wurde unerbittlich. »Willst du den Rest deines Lebens mit rasiertem Kopf hinter einem Vorhang leben und nur eine Handvoll Reis zu essen bekommen?«
    »Ja«, schrie Meera. »Dann bleibe ich wenigstens am Leben!«
    Ein mißbilligendes Gemurmel erklang von allen Seiten. Irgend jemand sagte, sie schätze das Leben zu hoch ein, während Dhamo, Pushpas Mann, knurrte, er würde keine nutzlose Frau durchfüttern. »Ein Mann ist für seine Frau wie ein Gott«, versuchte der Brahmanen-Priester sie zu überzeugen. »Es ist nur richtig für dich, deine Seele mit der deines Gemahls zu vereinigen, damit ihr bis in alle Ewigkeit Zusammensein könnt.«
    »Eine Witwe muß freiwillig Sati werden«, sagte Meera stur, »oder es bedeutet gar nichts. Ich werde nicht einwilligen, und Mohan würde es auch nicht wollen.« Ihre Worte kamen trotzig, doch als sie die zornigen Blicke um sich herum spürte, fürchtete sie, daß Trotz allein ihr das Leben nicht retten würde.
    Den ganzen Tag lang bereiteten die Männer die Verbrennungszeremonie vor, während die Frauen des Haushalts alles taten, um Meera dazu zu bewegen, Sati zu werden. Meera kamen sie vor wie Krähen, die nur darauf warteten, sich an ihrer Leiche zu laben. Doch trotz ihrer Angst und Erschöpfung wei-gerte sie sich bis zum Nachmittag. Dann gab sie plötzlich nach.
    Mit einer Stimme, die wie vergifteter Honig klang, hatte Pushpa gesagt: »Als Mohans Frau bist du wie eine Dame aus hoher Kaste behandelt worden, doch wenn du deine heilige Pflicht nicht erfüllst, wirst du zu einem Objekt des Hasses werden. Selbst der niedrigste Paria wird deinen Schatten meiden. Du willst wirklich all diese schrecklichen Demütigungen nur um ein paar Jahre miserablen Lebens auf dich nehmen, wo du dir als Sati den Segen sichern kannst?«
    Meera wußte, daß die Perspektive, die ihr ihre angeheiratete Schwiegertochter ausmalte, sehr wahrscheinlich zutreffen würde. Wie betäubt und unendlich verwirrt preßte sie die Hand an die Stirn und versuchte, ihre Gedanken von den Schleiern zu befreien, die sie gefangenhielten. »Vielleicht«, sagte sie heiser, »vielleicht sollte ich...« Dann dachte sie an die Flammen. Panik überkam sie, aber es war schon zu spät. Ihre Geste, ihre gestammelten Worte waren als Zustimmung gedeutet

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