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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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ich fortkomme.«
    Kenneth Stephenson hielt sein Pferd ebenfalls an. »Du mußt nicht wirklich dabei helfen, das Lager aufzuschlagen. Die Diener werden es allein bestens hinbekommen.«
    »Ja«, gab sie zu. »Aber ihre Arbeit zu überwachen, ist eine gute Ausrede, den endlosen blumigen Reden zu entgehen, die unvermeidlich in Klagen und Jammerei münden werden darüber, welch schreckliche Dinge im letzten Jahr über das Dorf hereingebrochen sind.«
    Er lächelte. »Es wird mindestens drei Tage dauern, um all die Fragen zu klären, wessen Büffel in wessen Feld gewandert ist, und wer nun den Kopf dafür hinhalten muß.«
    »Aber du wirst die Probleme zu jedermanns Zufriedenheit lösen.« Auf Lauras Stirn erschien eine steile Falte, als sie das Gesicht ihres Stiefvaters eingehend betrachtete. Unter dem Rand seines Topi war seine Haut bleich, und seine Züge wirkten ausgezehrt. »Bleib nicht so lange. Du siehst müde aus.«
    »Ein wenig«, gab er zu. »Ich komme schnell zurück und mache vor dem Abendessen noch ein Nickerchen.« Dann schnalzte er seinem Pferd zu und lenkte es auf die rechte Abzweigung.
    Laura nahm den linken Pfad, der zu ihrem Lagerplatz führte. Wenn ihr Vater in Nanda fertig war, würden sie nach Norden ziehen und sich anschließend weiter nach Westen Vorarbeiten. Sie ließen sich Zeit, denn diese Reise war ein wichtiger Teil der Arbeit eines Distriktoffiziers. Während die Theorie besagt, daß ein Inkassobeamter sich hauptsächlich um die Landbesteuerung kümmern sollte, war Kenneth in der Praxis auch Richter, Mechaniker und sogar gelegentlich Arzt für die Leute seines Distrikts. Und mehr noch: Er war die Verkörperung des Sikar, der britischen Regierung.
    Das Lager befand sich auf einer Lichtung, und die großen Bäume, die sie säumten, spendeten willkommenen Schatten. Wie erwartet war alles in Ordnung
    — die Karren entladen, ein Dutzend Zelte errichtet und ein Kochfeuer entzündet. An einem Ende der
    Lichtung grasten die Packtiere friedlich auf der saftigen Wiese.
    Laura stieg ab, reichte einem Stalljungen die Zügel ihres Pferdes und trat in ihr Zelt. Das Kampieren unterwegs war immer eine seltsame Mischung aus Unbequemlichkeit und Luxus, und sie mußte stets über die gerahmten Aquarelle britischer Landschaften grinsen, die an den Zeltwänden hingen, und wunderte sich immer aufs neue über die dicken Teppiche, in denen ihre Füße versanken.
    Seufzend nahm sie ihren Topi ab und strich sich das verschwitzte Haar aus der Stirn. Nachdem sie den Staub von Gesicht und Hals gewaschen hatte, ging sie hinaus und in das Zelt ihres Stiefvaters. Drinnen mußte sie kichern. Nicht nur, daß seine Möbel korrekt an ihrem Platz standen, nein, auch das Buch, in dem er gestern abend gelesen hatte, war in exakt demselben Winkel auf dem Tisch plaziert worden. Er hatte nur allzu recht: Sie brauchte nichts zu überwachen.
    Dennoch überprüfte Laura alles im Lager sorgfältig und plauderte mit dem Koch und den Dienern, um sicherzugehen, daß alles in Ordnung war. Ein gewisses Niveau aufrecht zu halten, war das erste, was man den Engländerinnen beibrachte, die nach Indien kamen, und dazu gehörte alles zwischen dem Ankleiden zum Dinner und der Zurschaustellung von Zähigkeit und Mut im Angesicht tödlicher Gefahren. Obwohl Laura bezweifelte, daß es sich auf das Prestige des Königreiches auswirkte, was sie anzog, so erfüllte sie doch pflichtbewußt ihren Teil.
    Wie versprochen kehrte Kenneth Stephenson vor Sonnenuntergang zurück. »Ich gehe morgen auf die
    Jagd«, sagte er, als er abstieg. »Man hat mir erzählt, daß ein menschenfressender Tiger in der Gegend herumläuft. Zwei Dorfbewohner sind bereits getötet worden.«
    Alarmiert blickte Lara auf die dichten Bäume. »Vielleicht hätten wir unser Lager besser bei Nanda aufgeschlagen.«
    Kenneth lachte leise. »Nicht einmal ein Menschenfresser würde ein Lager dieser Größe angreifen. Aber lauf nicht in den Wald, und sag auch den Dienern, sie sollen vorsichtig sein.«
    Laura runzelte die Stirn, als sie ihren Stiefvater anblickte. »Hast du vergessen, dein Chinin zu nehmen? Du siehst aus, als hättest du Fieber.«
    Er verzog das Gesicht. »Du hast wahrscheinlich recht. Ich nehme ein paar Tabletten und leg mich vor dem Essen noch etwas hin.«
    Lauras Blick folgte ihm, als er zu seinem Zelt ging, aber sie war nicht übermäßig besorgt. Fieber war für Europäer in Indien nicht ungewöhnlich, aber die meisten Leute ignorierten es, bis sie eine besonders böse

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